Das Killerfeature der Smartwatch? Erfahrungen mit der Samsung Gear Live

Die Technik am Körper wirkt unmittelbar – Anrufe oder E-Mails werden nicht mehr verpasst; überflüssige Blicke sind nicht mehr nötig. Auch wenn die Sprachsteuerung noch Übung erfordert: Das Konzept der Smartwatch überzeugt.

Smartphones sind Zeitfresser. 125 Mal am Tag schauen die Menschen im Durchschnitt auf ihr mobiles Telefon, verbringen täglich etwa zwei Stunden damit. „Dann vergessen sie ihre Umgebung, sind faktisch aus dem Leben genommen. Das wollen wir ändern“, kündigte Google-Designer Hayes Raffle auf der Entwicklerkonferenz I/O in San Francisco an. Dort hat Google die Computer der nächsten Generation vorgestellt, die direkt am Körper getragen werden. Die intelligenten Uhren, hergestellt von Samsung, LG und Motorola, verfügen wie normale Computer über einen Prozessor, können vier Gigabyte Daten speichern und werden vom neuen Google-Betriebssystem Android Wear angetrieben. „Die Uhren bringen den Menschen die gleichen Vorteile wie ein Computer, stören ihr Leben aber viel weniger“, verspricht Raffle.


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„Mikro-Interaktionen“ nennt Google den Versuch, den Informationsfluss aus dem Internet auf das notwendige Minimum zu reduzieren: Auf den kleinen Bildschirmen am Handgelenk werden daher nicht mehr Apps gezeigt, sondern die Informationen, die in diesem Moment relevant sind. Was relevant ist, entscheidet Google. Wer zum Beispiel einen Flug gebucht hat, bekommt rechtzeitig vorher die Abflugzeit und nach der Ankunft automatisch den Weg ins gebuchte Hotel auf der Uhr eingeblendet. „Die Interaktion muss so kurz und schnell erfassbar wie möglich sein“, erklärt Raffle den Ansatz.

Doch was kann eine Smartwatch? Hilft sie wirklich im Alltag oder ist die schlaue Uhr eine Spielerei für Geeks?  Ein erster Test mit der Samsung-Uhr zeigt die ersten sinnvollen Anwendungen, aber auch die Dinge, die noch fehlen. Und es vorweg zu nehmen: Nach ein paar Tagen möchte man einige Funktionen nicht mehr missen.

→  Praktisch ist vor allem das Vibrieren der Uhr, wenn neue Nachrichten (E-Mail, SMS, WhatsApp, Facebook…) auf dem Telefon eingegangen sind. Das Vibrieren ist kurz und am Handgelenk deutlich spürbar, ohne unangenehm zu sein. Dann wird im unteren Teil des Bildschirms die eingegangene Nachrichten angezeigt, die nach einem Wisch dann komplett zu sehen ist. Nachrichten mit einigen Zeilen Länge lassen sich auf der Uhr ohne Probleme lesen; mit dem Finger lässt sich herunterscrollen. Die Funktion ist unterwegs sehr praktisch, da man alle neuen Nachrichten mitbekommt, ohne das Telefon aus der Tasche ziehen zu müssen. Das Ganze funktioniert aber nur, wenn eine Bluetooth-Verbindung zwischen Telefon und Uhr besteht.

Am Schreibtisch nervt die Funktion jedoch schnell, wenn man die Informationen ohnehin auf dem Bildschirm sieht. Mit einem Wisch kann das Vibrieren aber leicht aus- und angeschaltet werden. Nach einigen Tagen Erfahrung ist diese Funktion ein echtes Argument für eine Smartwatch.

→  Die aktiven Funktionen in Android Wear setzen auf Sprachbefehle für die Interaktion. Befehle wie „E-Mail senden an Frank: Wann treffen wir uns morgen?“ oder „Erinnern an 9 Uhr Zahnarzt“ oder „Navigiere nach Hause“ funktionieren gut, auch wenn eine klare Aussprache ohne störende Hintergrundgeräusche nötig ist. Übrigens: Die E-Mail wird sofort geschickt, wenn ein eindeutiger Adressat gefunden wird. Das kann auch schief gehen.

→  Für zu sendende E-Mails greift Android Wear auf die Kontakte auf dem Smartphone zu. Stehen dort mehrere Personen mit gleichem Namen in der Liste, werden die verschiedenen Namensoptionen eingeblendet und können mit dem Finger ausgewählt werden.

→  Die Navigation greift ebenfalls auf die Einträge auf dem Telefon zu und startet dort Google Maps automatisch. Auf der Uhr werden Abbiegungen und die Gesamtroute gezeigt, aber das ist nur eine Notlösung. Bei der Navigation gelangt das Uhrendisplay an seine physische Grenze – es ist schlicht zu klein für eine ernsthafte Routenführung.

→  Auch der Kalender nutzt die Smartwatch als ausgelagertes Display am Handgelenk. Allerdings werden nur die Termine des Tages angezeigt; für mehr ist kein Platz. Die Termine der folgenden Tage gibt es nur auf dem Smartphone.

→  Der Schrittzähler ist ein Witz. Ein Tag am Schreibtisch sollen 6000 Schritte gewesen sein, was definitiv zuviel ist. Offenbar werden viele Armbewegungen als Schritte mitgezählt; das können Spezialisten wie das Jawbone Up genauer. Immerhin: Der Pulsmesser funktioniert besser.

→  Eingehende Telefonate werden auf der Smartwatch angezeigt und können per Wisch angenommen oder abgelehnt werden. Ein Gespräch anzunehmen ergibt aber keinen Sinn, denn die Smartwatch ist stumm – telefoniert werden kann damit nicht. Dann hilft nur der schnelle Griff zum Telefon, um das Gespräch zu führen.

→  Ganz nett sind Funktionen wie Wecker, Timer, Stoppuhr. Aber auch nicht mehr.

→  Verbesserungswürdig sind die Informationen, die von Google Now als relevant angesehen und eingeblendet werden. Zu häufig tauchen plötzlich die Schrittzahl oder das Wetter auf dem Bildschirm auf, ohne dass ein Grund dafür zu sehen wäre. Die Kontexttabhängigkeit dieser Infos funktioniert manchmal aber auch gut: Rechtzeitig vor der Fahrt aus dem Büro nach Hause wird die aktuelle Verkehrslage angezeigt.

→  Schön sind die verschiedenen Uhr-Designs von klassisch bis futuristisch.

→  Der Akku ist eine Besonderheit: Zum Aufladen muss ein zusätzliches Plastikteil auf die Unterseite der Uhr aufgesteckt werden, in das der Mikro-USB eingesteckt werden kann. Das lässt sich eleganter lösen. Der Akku hält einen Tag und muss wie das Smartphone täglich aufgeladen werden – auch daran muss man sich erst gewöhnen.

→  Scheint die Sonne auf das Display, sieht man nichts. Gar nichts. Nicht mal die Uhrzeit.

Zu diesen Grundfunktionen können natürlich weitere Apps entwickelt werden. Im Google Play-Store füllt sich langsam die Sektion mit den Apps für das Wear-System. 

Fazit:

Nur in Verbindung mit dem Smartphone ist die Uhr auch „smart“. Alle Internetfunktionen funktionieren nur, wenn Uhr und Telefon per Bluetooth miteinander verbunden sind. Praktisch sind auf den ersten Blick vor allem die passiven Funktionen der Uhr als ausgelagertes Display. Die Benachrichtigungsfunktion bei eingehenden E-Mails oder SMS, die das Checken des Telefons unterwegs überflüssig macht, ist angenehm. Eingehende Anrufe werden nicht mehr verpasst, selbst wenn das Telefon in der Tasche ruht. Der Spaß an den aktiven Funktionen hängt wesentlich mit der Sprachsteuerung zusammen. Das erfordert etwas Übung, funktioniert dann aber auch gut. So wird es leicht, sich selbst unterwegs schnell eine Erinnerungsnotiz zu senden oder einen Termin einzustellen. Verbessert werden müssen die Fitnessfunktionen. Der Schrittzähler ist übereifrig; hier muss nachgebessert werden. Interessante Apps können gerade den Fitnessbereich attraktiver machen. Insgesamt zeigt die erste Smartwatch mit Android Wear das Potenzial eines Computers am Handgelenk ganz gut: Die Technik am Körper wirkt unmittelbar, man verpasst nichts (wenn man das will). Gleichzeitig entfallen viele überflüssige Blicke auf das Smartphone. Die Smartwatch ist auch in diesem Anfangsstadium der Entwicklung ein Fortschritt.

Haben Smartwatches das Potenzial für den Massenmarkt? Noch nicht. Dafür müssen sie schöner und (für Frauenarme) kleiner werden. Die Funktionen reichen bisher nicht für den Massenmarkt, zumal sie bisher nur eine Erweiterung des Smartphones darstellen. Aber für Geeks ist die Uhr schon jetzt ziemlich hilfreich. Den Anspruch, die Unterbrechungen durch das Internet zu minimieren („Micro-Interactions“), erfüllen sie schon ganz gut. Und das ist ein Fortschritt. Den nächsten Schritt könnte dann die iWatch von Apple bringen, deren Erscheinen für Oktober erwartet wird. Über das mögliche Killerfeature der iWatch wird auch schon spekuliert: Voice-Messaging.