Industrie 4.0 ist in deutschen Unternehmen weiter kaum bekannt
Die erste echte Repräsentativbefragung zur Bekanntheit und dem Einsatz von Industrie 4.0 in deutschen Unternehmen bringt ein ernüchterndes Ergebnis: Nur 18 Prozent der Unternehmen kennen den Begriff Industrie 4.0, nur 4 Prozent haben entsprechende Projekte umgesetzt oder in Planung, zeigt eine ZEW-Umfrage unter 4500 Unternehmen in Deutschland.
Die erste Repräsentativbefragung deutscher Unternehmen aller Größenklassen bringt es an den Tag: Industrie 4.0, das Schlagwort für die Digitalisierung als vierte industrielle Revolution, ist in der deutschen Wirtschaft bisher kaum relevant. Nur 18 Prozent der Unternehmen kennen den Begriff überhaupt und gar nur 4 Prozent haben entsprechende Digital-Projekte schon umgesetzt oder in Planung, berichtet der FOCUS unter Berufung auf eine Umfrage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) unter 4500 Unternehmen in Deutschland.
„Trotz zahlreicher Forderungen aus der Politik und den Verbänden, den Vorsprung der heimischen Industrie im Zuge der Digitalisierung nicht zu verlieren, sind die tatsächlichen Investitionsvorhaben überschaubar und auf wenige Unternehmen beschränkt“, kritisiert ZEW-Forscherin Irene Bertschek. Seit Abschluss der Befragung im Frühjahr habe sich wahrscheinlich die Bekanntheit des Begriffs etwas erhöht, aber am repräsentativen Gesamtbild habe sich bis heute nicht viel geändert.
Je kleiner die Unternehmen, desto weniger können sie mit Industrie 4.0 anfangen. Erhebliche Unterschiede zeigen sich zwischen den Branchen. Fast die Hälfte der Unternehmen aus der Informationstechnik, der Telekommunikation, dem Maschinenbau und der Elektroindustrie kennt immerhin das Thema. Im Durchschnitt hat auch etwa jedes fünfte Unternehmen aus diesen Branchen schon Projekte am Start. Hinter dieser Spitzengruppe fallen aber Bekanntheitsgrad und die Zahl der Vorhaben zur Digitalisierung stark ab. Ganz am Ende der Skala findet sich überraschenderweise die Transport- und Logistikbranche, in denen nur 6 Prozent der Firmen Kenntnis vom Begriff haben und gar nur 1,3 Prozent schon konkret an der Umsetzung arbeiten, obwohl die Vernetzung der Lieferkette erhebliche Potenziale bietet. Offenbar kann Deutschland zwar Industrie-4.0-Technologie liefern, setzt sie aber in den eigenen Fertigungsbetrieben bisher kaum selbst ein.
Ein Grund für die geringe Resonanz mag die missverständliche Wahl des Begriffs zu sein. Die Digitalisierung der Wirtschaft geht weit über die Industrie und die Fabriken hinaus, weshalb die Amerikaner auch lieber vom „Industriellen Internet der Dinge“ sprechen. (-> Deutschlands gefährliche Konzentration auf Industrie 4.0). Zwar haben die Erfinder um den Ex-SAP-Chef Henning Kagermann die gesamte Digitalisierung der Wirtschaft im Auge gehabt, doch nun lehnen sich offenbar viele Unternehmen schon zufrieden zurück, wenn sie die Effizienz ihrer Fabrik um 20 Prozent erhöht haben. Notwendig ist aber ein Umdenken in der Wertschöpfungskette, die künftig beim Kunden beginnt und viel mehr datenbasierte Services enthält.
„Fertigungsbetriebe müssen aus Lethargie erwachen“
„Die Digitalisierung im verarbeitenden Gewerbe wird nur von IT-Verantwortlichen als wesentliche Herausforderung in den nächsten zwei Jahren bewertet. Auf Seiten der Produktions- und Fachbereichsverantwortlichen fehlt nach wie vor das Verständnis, in welchem Ausmaß technologische Entwicklungen die Geschäftstätigkeit ihres Betriebs verändern werden“, lautet ein Ergebnis des Marktforschungsunternehmens IDC, das 201 Unternehmen größere Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes mit mindestens Beschäftigten nach dem Thema Industrie 4.0 befragt hat.
Im Fokus der bereits erfolgten Industrie 4.0-Anwendungen stehe aktuell die Erfassung, Überwachung und Kontrolle von Prozessen und Produkten. Die Fehlerreduzierung habe offenbar eine größere Relevanz als die Neugestaltung und Optimierung von Fertigungsverfahren. „Es zeichnet sich eine Industrie 4.0 der zwei Geschwindigkeiten zwischen den Fabrikausstattern, die ihr „traditionelles“ Produktgeschäft durch innovative, zusätzliche Services erweitern und neue Umsatzquellen erschließen wollen, und den Fabrikbetreibern ab“, bewertet IDC-Projektleiter Mark Alexander Schulte die Ergebnisse. „Es ist höchste Zeit, dass die Fertigungsbetriebe aus dieser Lethargie erwachen, wenn sie langfristig erfolgreich bleiben wollen.“
Industrie 4.0 „Out of the box“ ist gefragt – aber nicht vorhanden
Viele Unternehmen wollen zunehmend auf Cloud Services setzen, die die meisten Befragten als „Enabler“ von Industrie 4.0 ansehen. Je intensiver sich Betriebe mit Industrie 4.0 auseinandersetzen, desto klarer wird ihnen dies. 25 % der Betriebe planen laut IT-Veranwortlichen daher im kommenden Jahr die Nutzung von Cloud Computing im Rahmen von Industrie 4.0. Die Bedenken sind also in den Hintergrund und die Möglichkeiten stärker in den Vordergrund gerückt.
Als wichtigsten Erfolgsfaktor sehen die Befragungsteilnehmer ausgereiftere Technologien und Lösungen für die intelligente und vernetzte Fabrik an (39 Prozent) – und zwar mit deutlichem Abstand vor Konzepten zur Verbesserung der IT-Sicherheit (26 Prozent), der Unterstützung durch das Management (21 Prozent) oder einer gesicherten Finanzierung (13 Prozent). Dies spiegelt den dynamischen Markt und das sich entwickelnde Ökosystem wider. Industriebetriebe hätten am liebsten Industrie 4.0 Lösungen „out of the box“, die allerdings nur die wenigsten Anbieter aus einer Hand bieten können.