Woher die digitalen Angreifer kommen
Welche neuen Wettbewerber die Digitalisierung bringt, variiert zwischen den Branchen. Je geringer die Digitalisierung, desto eher werden Firmen aus der Tech-Branche als ernsthafte Wettbewerber gesehen.
Medien und Händler leben schon lange mit den neuen Konkurrenten aus der Digitalbranche wie Google, Amazon oder Zalando. Andere deutsche Kernindustrien wie die Autohersteller, die Maschinenbauer oder auch die Konsumgüterindustrie müssen jetzt erst lernen, dass die Digitalisierung neue Wettbewerber hervorbringt. Manchmal kommen sie aus den eigenen Reihen, weil ein etablierter Konkurrent die Vorteile der digitalen Welt schneller erkannt und umgesetzt hat. Oder der neue Rivale kommt aus der Tech-Branche, die sich schon lange nicht mehr darauf beschränkt, nur gute Software zu produzieren. Google stellt Roboter, Heizungssteuerungen und Autos her, Apple produziert schöne Uhren und vielleicht auch bald Autos. Das Nokia-Schicksal könnte damit auch Unternehmen drohen, die sich lange in Sicherheit wähnten.
Woher die neuen Wettbewerber genau kommen, ist von Branche zu Branche aber sehr unterschiedlich, wie eine Umfrage des Hamburger Beratungsunternehmens Infront in Deutschland ergeben hat. Im Handel kommen die neuen Rivalen vor allem aus der eigenen Branche. Da die Händler schon viele Jahre Zeit hatten, sich auf die Digitalisierung einzustellen, haben vorwiegend digital transformierte Unternehmen aus den eigenen Reihen die Chancen genutzt, um sich auch gegen die reinen Online-Anbieter wie Amazon oder Zalando zur Wehr zu setzen. Sie sind meist als Reaktion auf die digitalen Konkurrenten entstanden.
In der TIME-Branche (Telekommunikation, Information, Medien und Entertainment) sind es vorwiegend neue Unternehmen aus der Tech-Branche und auch aus den eigenen Reihen, die den Etablierten das Leben schwer machen. WhatsApp hat den SMS-Umsatz der Mobilfunker schon erodieren lassen und mit der neuen Sprachfunktion, die ziemlich gut auch in schlechten Mobilfunknetzen funktioniert, wird eine weitere Umsatzsäule wegbrechen.
Je weniger digitalisiert eine Branche ist, desto eher kommen die neuen Wettbewerber aus der Tech-Branche, sind also Seiteneinsteiger wie Tesla in der Autobranche. Besonders stark ist diese Tendenz im Maschinenbau ausgeprägt, wo Unternehmen wie Google mit ihrem Cloud-Robotics-Ansatz als ernsthafte Wettbewerber wahrgenommen werden. Die deutsche Autobranche, die lange Zeit nur die Konkurrenz aus dem eigenen Land als solche wahrgenommen hat, nimmt offenbar weder Tesla oder Apple noch die Chinesen als ernsthafte Konkurrenten wahr. In der Konsumgüterbranche ist man ohnehin sehr gelassen. Nur wenige Befragte sehen ernsthafte Konkurrenz aus der digitalen Welt.
Je größer aber der Druck der neuen Konkurrenten schon geworden ist, desto mehr neigen die Unternehmen dazu, die Digitalisierung als strategischen Hebel zur Entwicklung des eigenen Geschäftsmodells zu betrachten. Je geringer der Druck, desto eher dient die Digitalisierung nur zur operativen Optimierung einzelner Unternehmensfunktionen, haben die Berater herausgefunden. Oft werden Produktion („Industrie 4.0“), IT und/oder Marketing optimiert, aber das Geschäftsmodell bleibt weitgehend gleich. Viele dieser Unternehmen werden dann früher oder später Getriebene, die den digitalen Angreifer näherkommen sehen, aber dann meist zögerlich oder panisch reagieren, selten aber strategisch weitsichtig, was heute bei vielen Verlagen zu beobachten ist.
Digitale Zwei-Klassen-Gesellschaft
Auf die Frage, was die neuen Konkurrenten denn eigentlich besser machen als die etablierten Anbieter, nennen diese meist das bessere Kundenverständnis. Das empirische, datengetriebene Konsumentenverständnis hat das Wissen, das oft aus jahrelanger Erfahrung im Umgang mit dem Kunden beruht, abgelöst.
Nach Ansicht der Berater zeichnet sich eine digitale Kluft zwischen den Unternehmen ab, die den fundamentalen Charakter der digitalen Umwälzung in ihrer Branche erkennen, und den Unternehmen, die Digitalisierung lediglich als technisches Werkzeug sehen. Die digitalen Champions handeln konsequent auf strategischer Ebene und verstehen die tiefgehenden Konsequenzen für das Kundenverhalten, den Umgang mit Mitarbeitern und die Arbeitsweise des Unternehmens. Diesen Firmen ist klar, dass Arbeit anders organisiert werden muss, zum Beispiel weg vom „Command and Control“ und langfristiger Planbarkeit. Die alten Mitarbeiter auf die Reise mitzunehmen und neue Mitarbeiter anzulocken, wird eine der großen Herausforderungen.