600 Millionen Euro Umsatz mit Retail Media in Deutschland erwartet
Die Handelsplattformen entdecken die Werbung als lukrative Einnahmenquelle. Sie besitzen einen entscheidenden Vorteil: Daten über die Kundenwünsche aus erster Hand.
Der beste Ort für Werbung ist direkt im Geschäft, wenn der Kunde ohnehin im Kaufmodus ist. Das haben inzwischen auch die Online-Handelsplattformen erkannt, die zudem ziemlich genau wissen, was ihre Kunden kaufen möchten. Das Ergebnis heißt Retail Media – und legt gerade rasant zu. „Der Markt für Retail Media wird in Deutschland in diesem Jahr auf 600 Millionen Euro wachsen“, sagte Torsten Ahlers, Chef der Otto Group Media, auf dem ersten Retail Media Summit in Hamburg. Zwei Drittel des neuen Geschäfts entfallen auf die Produktsuche, ein Drittel auf die Ausweitung der Reichweite. Händler werden damit immer mehr zu Plattformen, die nicht nur externe Dritthändler mit Kunden zusammenführen, sondern ähnlich wie klassische Medien auch werbende Unternehmen und potenzielle Kunden. Mit weiteren massiven Investitionen in seinen Datenpool will Ahlers den Plattformgiganten Amazon und Alibaba Paroli bieten. „Lokale Platzhirsche sind flexibler, weniger restriktiv als Amazon“, sagte Arne Kirchem, der für Deutschland und die Nordics zuständige Mediendirektor von Unilever.
International ist das Geschäft allerdings schon weiter. Alibaba hat mit diesem Modell in China bereits 17 Milliarden Dollar Umsatz im vergangenen Jahr erzielt. „In Deutschland ist Retail Media aktuell sehr gefragt, die Budgets sind aber noch beschränkt“, sagte Janine Liu von der Mediagentur MediaCom. Sie arbeitet ebenfalls an der Datenbasis, damit die Unternehmen ihre Werbung möglichst präzise auf potenzielle Kunden ausrichten können.
Amazon: 70 Prozent Wachstum im Retail Media
Handelsplattformen wie Alibaba und Amazon oder Otto und Zalando in Deutschland haben den Vorteil, über „First-Party-Data“ zu verfügen, also eigenes Wissen über ihre Kunden. Das lässt sich zu Geld machen: „Werbung ist inzwischen ein Multi-Milliarden-Dollar-Geschäft und wächst sehr schnell”, sagte der Amazon-Finanzvorstand Brian Olsavsky in der Telefonkonferenz zu den jüngsten Quartalszahlen. Auf 70 Prozent wird das durchschnittliche jährliche Wachstum des Amazon-Werbegeschäfts zwischen 2015 und 2020 geschätzt. Die Analysten von BMO Capital Markets trauen Amazon zum Ende der Dekade schon 19 Milliarden Dollar Umsatz in dieser Sparte zu. Alibaba erreicht zwar „nur“ 30 Prozent Wachstum, allerdings schon auf einem viel höheren Niveau. 2020 – so die nicht allzu gewagte Prognose – könnten sie zusammen schon ein Fünftel des digitalen Werbemarktes besetzen.
Überraschen kann das niemanden, der das Geschäftsmodell der Plattformen verstanden hat. Denn Ausbrüche dieser Art in neue Märkte sind von Anfang an vorgesehen. Für Amazon, Alibaba, Ebay, Otto oder Zalando ermöglicht das Wissen über die Wünsche der Konsumenten und die Angebote der Händler ein vergleichsweise exaktes, hochgradig automatisiertes Ausspielen der Werbung an Nutzer, die ohnehin gerade im Shopping-Modus sind. Während Google und Facebook die Kundenwünsche aufwendig aus ihren Daten herauslesen müssen, werden sie den Handelsplattformen quasi frei Haus geliefert.
Plattformökonomie: Gewinn mit den Daten
Alibaba besitzt schon ein ganzes Jahrzehnt Erfahrung in diesem Business. Als reinrassige Plattform erzielen die Chinesen inzwischen den größten Teil ihres Umsatzes mit Werbung. Beim Nachzügler Amazon sind es erst 3 bis 4 Prozent. Ganz genau lässt sich der Wert nicht berechnen, da Amazon die Werbeumsätze noch als Teil der Rubrik „Andere“ ausweist. Aber der Großteil der 2 Milliarden Dollar, die im ersten Quartal in dieser Rubrik als Umsatz angegeben wurden, entfällt auf die Online-Werbung.
Das hochmargige Werbegeschäft trägt schon wesentlich zum Gewinn des US-Konzerns bei. Genaue Zahlen weist Amazon auch hierfür nicht aus. Aber der stetige Anstieg des Bruttogewinns auf zuletzt 40 Prozent des Umsatzes ist wesentlich auf die wachsenden Anteile lukrativer Geschäftsfelder wie Amazon Web Services, die Vermittlungsprovisionen der etwa 2 Millionen Dritthändler auf den Marktplätzen und eben jüngst das Werbegeschäft zurückzuführen. Die notorisch geringe Marge im traditionellen Handel spielt in der Gewinn- und Verlustrechnung eine immer geringere Rolle.
„Googles größter Konkurrent ist Amazon“
Dabei hat Amazon das Geschäftsfeld bisher nur in Ansätzen ausgerollt. Der Großteil der Werbeeinnahmen stammt aus den „Sponsored Products“ in den Suchergebnissen. Da etwa die Hälfte der Online-Shopper in wichtigen Märkten wie den USA oder Deutschland ihre Suche nach Produkten inzwischen direkt bei Amazon beginnt, hat das Unternehmen Ende April seine Werbung in der Google-Produktsuchmaschine Shopping eingestellt und damit die Spekulation angeheizt, einen ähnlichen Weg wie Alibaba zu gehen. Der chinesische Online-Riese hat 2009 die führende chinesische Suchmaschine Baidu ausgesperrt, um Produktsuchende ohne Umweg direkt auf seine Seiten zu locken. Amazon könnte auf diese Weise auch mehr Nutzer zur direkten Produktrecherche in seiner Suchmaschine animieren. Leittragender des Amazon-Aufstiegs in das Werbegeschäft wäre dann vor allem Google, was der ehemalige Google-Chef Eric Schmidt im Jahr 2014 exakt vorhergesagt hatte. „Viele denken, unsere größten Wettbewerber seien Yahoo oder Bing. Aber unser größter Konkurrent im Suchmaschinenbereich ist tatsächlich Amazon.“ Wer etwas kaufen wolle, schaue meist bei Amazon nach. „Im Grunde antworten sie auf Anfragen und Suchen der Nutzer genauso, wie wir es tun“, sagte Schmidt damals in Berlin.
Doch das Bedrohungsszenario geht über den offensichtlichen Suchmarkt hinaus. Denn die Plattformriesen sind auch in den digitalen Medien präsent. Alibaba mit seiner börsennotierten Tochtergesellschaft Alibaba Pictures Group, der größten Filmfirma Chinas; Amazon mit seinen Prime-Kategorien Video und Music oder dem Lesegerät Kindle. „Wir sehen Möglichkeiten für Videowerbung, aber im Moment planen wir nicht, in diesen Markt einzutreten“, sagte Amazon-CFO Olsavsky. Doch bei dem Tempo, das Amazon im Werbegeschäft an den Tag legt, wird diese Entwicklung nur eine Frage der Zeit sein. Gerade testet Amazon ein Retargeting-Tool für Display-Werbung, das Amazon-Händlern erlaubt, ihren Kunden die passende Werbung auch außerhalb der Amazon-Seiten zu zeigen, um sie für den Kauf zurück auf Amazon zu lotsen. Amazon würde dann doppelt verdienen: an der Werbung und den Transaktionsgebühren beim Kauf.
Auch Apple entdeckt die Online-Werbung wieder
Als ob Amazon oder Alibaba als neue Player auf dem Werbemarkt noch nicht ausreichten, drängt nun auch noch Apple mit einem neuen Ansatz zurück ins Geschäft: Wer die Suchmaschine eines Apple-Partners wie Snap oder Pinterest nutzt, erhält dort App-Werbung, die von Apple ausgespielt wird. Den Erlös teilen sich Apple und das jeweilige Unternehmen, meldet das Wall Street Journal. Apples Werbegeschäft ist mit 1 Milliarde Dollar Umsatz im vergangenen Jahr vergleichsweise klein für die Größe der Plattform. Die attraktive Marge hätte aber das Interesse von Konzernchef Tim Cook geweckt, der das Geschäft nun ausbauen wolle, berichtet die Zeitung.
Hinweis: Ich habe auf dem Retail Media Summit die Keynote zum Thema „Plattformökonomie“ gehalten.