Die Geoökonomie der KI

Nach Software, Cloud-Computing und Chips hat sich Europa auch in der KI in die Defensive manövriert. Der Vorsprung der USA und China wächst stetig. Der Wettbewerb um die beste Position im Mittelfeld wird härter.

Für Alex Karp, den Gründer von Palantir, ist der Wettbewerb um die KI schon entschieden: „Wir besitzen die KI. Daher sollte die bevorstehende Revolution die US-KI-Revolution genannt werden“, sagte Karp auf einer Diskussionsveranstaltung des Reagan National Defense Forums. „Jedes einzelne relevante KI-Unternehmen befindet sich in Amerika. Es gibt kein anderes Land, das KI skalieren kann. Europa hat sich entschieden, KI zu regulieren und sich damit aus der Produktion herauszunehmen“, lautet sein Urteil. Das habe Folgen: „Die Technologie hat einen makroökonomischen Hintergrund: Wer KI richtig einsetzt, kann sein Unternehmen in kurzer Zeit transformieren. Das geschieht gerade in Amerika – und es passiert nicht in Europa“, warnte Karp.
Tatsächlich bauen die Amerikaner ihren Vorsprung in der globalen KI weiter aus, zeigt der aktuelle Global AI Vibrancy Index des Stanford Institute for Human-Centered AI (HAI), der die KI-Ökosysteme von 36 Ländern anhand von 42 Indikatoren vergleicht. Mit Unternehmen wie Google, Meta, Open AI und Anthropic dominieren sie die kommerzielle KI-Entwicklung. Die privaten KI-Investitionen in den USA übersteigen mit 67 Milliarden Dollar die Investitionen in den nachfolgenden Ländern sehr deutlich.

Ermüdungserscheinungen sind nicht zu beobachten. Im Gegenteil: Das globale Rennen um die Dominanz in der Künstlichen Intelligenz hat kurz vor Weihnachten nochmals an Fahrt aufgenommen. Amazon hat gleich sechs neue KI-Modelle vorgestellt, tritt mit eigenen KI-Chips gegen Nvidia an und entwickelt gemeinsam mit Anthropic einen KI-Supercomputer. Unterdessen bringen Open AI und Alibaba neue Profimodelle auf den Markt, die Fortschritte im „logischen Denken“ erzielen. Diese sogenannten Reasoning-Modelle gelten als der nächste große Schritt in Richtung einer Allgemeinen Künstlichen Intelligenz.

Die KI-Mittelmächte

Trotz der Tempoverschärfung der beiden Supermächte USA und China formiert sich dahinter aber eine Gruppe von Ländern, die als „GenAI-Mittelmächte“ bezeichnet werden können. Israel, Indien, Südkorea, Japan und die EU wollen sich in dem globalen Wettrüsten nicht abhängen lassen.

Ähnlich wie im Cloud-Computing stehen europäische Unternehmen im Spannungsfeld zwischen digitaler Souveränität und technischem Fortschritt, der aber überwiegend aus den USA importiert wird. Für 84 Prozent der Unternehmen hierzulande, die generative KI einsetzen oder dies planen, ist das Herkunftsland des Anbieters zwar wichtig – und eine klare Mehrheit von 86 Prozent würde dabei Deutschland bevorzugen, zeigt eine aktuelle Bitkom-Umfrage. Doch der Wunsch geht an der Realität vorbei, denn das einzige ernst zu nehmende große Sprachmodell aus Europa stammt aktuell vom französischen Unternehmen Mistral. Daher greift die große Mehrheit in der KI auf die bewährten US-Anbieter Open AI, Microsoft, Google, Amazon und Anthropic zurück, während chinesische Anbieter von deutschen Unternehmen als Lieferanten kaum in Betracht gezogen werden, zeigt die Bitkom-Studie.

KI wird zentraler Wettbewerbsfaktor

Für Führungskräfte, die generative KI in ihre Produkte und Dienstleistungen integrieren und global agieren, birgt eine Abhängigkeit von KI-Technologien aus den USA oder China erhebliche Risiken. Denn anders als das Cloud-Computing oder die Software wird Künstliche Intelligenz aller Voraussicht nach ein zentraler Wettbewerbsfaktor für viele Unternehmen. Ein schneller Zugriff auf neue Modelle kann den Unternehmen einen nicht zu unterschätzenden Wettbewerbsvorteil bringen. Das gilt für die erhofften Produktivitätseffekte, aber noch mehr für die Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle auf Basis der KI.

An dieser Stelle kommt die wachsende politische Unsicherheit mit der Wiederwahl von Donald Trump als US-Präsident ins Spiel. Einerseits wird er die Künstliche Intelligenz weiter deregulieren und damit den US-Unternehmen einen zusätzlichen Wettbewerbsvorteil bringen. Andererseits können sich Regulierungen, Datenanforderungen und die Verfügbarkeit von Sprachmodellen durch politische Entscheidungen schnell ändern. Trump hat mit Elon Musk und Peter Thiel zwei unberechenbare zentrale Player der amerikanischen KI-Szene in Schlüsselpositionen gebracht, die Künstliche Intelligenz zwar vorantreiben, aber dabei ihre Eigeninteressen wahrscheinlich rigoros durchsetzen werden. Zwar haben sich die Hyperscaler Google, Microsoft oder Amazon als verlässliche Partner erwiesen, aber auch sie müssen mit einem kaum kalkulierbaren Risiko im Weißen Haus klarkommen, das amerikanische Interessen klar in den Vordergrund stellt.

Eine multipolare KI-Versorgung würde vor diesem Hintergrund zwar Komplexität erhöhen, aber auch entscheidende Handlungsspielräume schaffen, zeigt eine aktuelle Analyse der Boston Consulting Group (BCG). Unternehmenslenker sollten die geopolitischen Entwicklungen in der KI daher aktiv steuern. Eine rein nationale Perspektive, wie die auf den Zugang zu fortschrittlichen Halbleitern oder günstige Regulierungsumfelder, reicht nicht mehr aus. Stattdessen sollten Führungskräfte die Stärken von GenAI-Supermächten und -Mittelmächten entlang der sechs entscheidenden Faktoren bewerten: Kapital, Talent, geistiges Eigentum, Daten, Energie und Rechenleistung.

Die GenAI-Supermächte: USA und China

Die USA haben dank jahrzehntelanger Führungsrolle in der KI-Entwicklung einen klaren Vorsprung, zeigt auch die BCG-Analyse. Sie stellen rund 70 Prozent der bedeutendsten KI-Modelle seit 1950 und fast 60 Prozent der leistungsstärksten LLMs. Zudem konzentrieren sie den weltweit größten Talentpool mit fast einer halben Million KI-Fachkräften und dominieren bei Infrastruktur und Kapital.

Nur China kann aktuell einigermaßen mithalten. Unternehmen wie Alibaba und Baidu sowie aufstrebende Start-ups entwickeln leistungsstarke Modelle, die zunehmend mit amerikanischen Alternativen konkurrieren. Dank einer starken Datenbasis, massiver staatlicher Investitionen und wachsender Infrastrukturen baut China seine Position weiter aus, auch wenn Handelsrestriktionen bei Chips die Fortschritte verzögern könnten.

Die GenAI-Mittelmächte: Europa, die Golfstaaten, Japan und Südkorea

Europa profitiert von der Vielfalt und Komplementarität seiner Mitgliedstaaten. Start-ups wie Mistral leisten bereits bemerkenswerte Beiträge. Herausforderungen bleiben jedoch in der Skalierung und bei Investitionen in Infrastruktur.

Die Golfstaaten, insbesondere Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, setzen auf ihre beträchtlichen Kapitalreserven. Großprojekte und gezielte Investitionen in Datenzentren und Talente treiben dort die KI-Entwicklung voran.

Japan und Südkorea verfügen über starke Technologiekonzerne und Innovationsökosysteme, kämpfen jedoch mit der Skalierung und dem Marktzugang. Beide Länder haben begonnen, eigene Sprachmodelle zu entwickeln, profitieren aber auch von offenen Technologien wie Metas Llama.

Neben den aktuellen Supermächten könnten technologische Durchbrüche auch aus Forschungsnationen wie Großbritannien, Kanada oder Israel kommen. Diese Länder verfügen über exzellente Forschungskapazitäten, haben jedoch Schwierigkeiten, in der KI-Versorgung global mitzuhalten.

Europäische Manager sehen KI skeptischer

Laut einem aktuellen Deloitte-Bericht hinken europäische Unternehmen ihren Pendants in Amerika und im asiatisch-pazifischen Raum bei der Integration von generativer KI in zentrale Geschäftsbereiche hinterher. Auch die Begeisterung der Beschäftigten für KI ist in Europa geringer: Nur 37 Prozent zeigen starkes Interesse, verglichen mit mehr als 50 Prozent in anderen Regionen.

In einer aktuellen Gallup-Studie gaben sechs von zehn europäischen Unternehmen gaben an, dass ihre Führungsteams in der KI-Entwicklung insgesamt weniger souverän agieren. Auch die Einsatzbereitschaft der Beschäftigten für KI bereitet den befragten Führungskräften große Sorgen: Sieben von zehn Führungskräften gaben an, dass ihre Mitarbeitenden nicht darauf vorbereitet sind, mit KI zu arbeiten. Eine Führungskraft betonte: „Umschulungen sind derzeit ein zentrales Thema für uns.

Wir benötigen Kompetenzen in Bezug auf Datenverständnis, den Umgang mit KI sowie Nachhaltigkeit – also sowohl ein Verständnis des Themas als auch die Fähigkeit, sich im europäischen Regulierungsrahmen zurechtzufinden.“ Schon darin liegt ein großes Problem: „Je nachdem, wie global Ihr Unternehmen aufgestellt ist, können Sie es sich in den USA leisten, damit zu experimentieren. In Europa ist es hingegen ein völlig anderes Spielfeld, in dem sich ständig alles ändert. Wenn wir etwas Neues ausprobieren wollen, würden wir es in den USA tun, weil das regulatorische Umfeld dort freundlicher ist und die nötigen Kompetenzen leichter verfügbar sind“, sagte einer der befragten Manager.