Die Uhr, die ihren Besitzern Zeit zurückgibt

Apple stellt eine neue Produktkategorie – eine Uhr – vor. Und die Tech-Welt diskutiert wieder, ob man dieses Produkt überhaupt braucht. So war es beim iPhone und auch beim iPad. Durchgesetzt haben sich beide Produkte. Und auch die Apple Watch wird eine neue Technikwelle auslösen. Der Grund ist einfach: Die Uhr ist praktisch. Denn sie […]

Apple stellt eine neue Produktkategorie – eine Uhr – vor. Und die Tech-Welt diskutiert wieder, ob man dieses Produkt überhaupt braucht. So war es beim iPhone und auch beim iPad. Durchgesetzt haben sich beide Produkte. Und auch die Apple Watch wird eine neue Technikwelle auslösen. Der Grund ist einfach: Die Uhr ist praktisch. Denn sie löst ein Problem: 100 bis 150 Mal blicken Smartphone-Nutzer im Durchschnitt auf ihr Telefon. News-Junkies wahrscheinlich noch viel häufiger. Aber oft vergeblich, weil doch keine neue Nachrichten eingegangen sind. Dagegen erreichen Anrufe, E-Mails, SMS oder WhatsApp-Nachrichten den Träger einer Uhr unmittelbar und merkbar. Unnötige Blicke werden vermieden und – noch besser – die Zeit mit dem Gerät wird minimiert. Google-Designer Hayes Raffle erklärte das auf der Entwicklerkonferenz I/O in diesem Jahr so: Die Uhren bringen den Menschen die gleichen Vorteile wie ein Computer, stören ihr Leben aber weniger“. Denn eine Smartwatch erzeugt zwar viele kleine Unterbrechungen, die in der Summe aber deutlich kürzer sind als die Zeit, die mit dem Smartphone verbracht wird. Das mag schlecht für die Werbeindustrie sein, aber gut für die Hardwarehersteller und vor allem gut für die Nutzer.

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Und Raymond Velez, CTO von Razorship, kennt noch einen ganz praktischen Grund: „Ich habe meiner Frau eine Pebble geschenkt. Nun telefoniere ich nicht mehr die halbe Zeit mit ihrer Mailbox“. Denn vibrierende Smartphones werden in der (männlichen) Hosentasche schneller bemerkt als in der (weiblichen) Handtasche. Die Smartwatch-Hersteller wären als gut beraten, ihre bisher meist ziemlich klobigen Uhren im Mini-Smartphone-Format auf die Größe des weiblichen Handgelenks und den Geschmack weiblicher Kundschaft anzupassen. Als Weihnachtsgeschenk für Geeks und Geeketten wäre die Uhr dann fast unschlagbar. (Allerdings könnte es unterm Weihnachtsbaum Probleme geben, wenn die Frage der Akkulaufzeit aufkommt. Denn das größte Ärgernis ist das tägliche Aufladen, selbst wenn es Apple komfortabel gelöst hat. Als Wecker habe ich die Uhr noch nie benutzt, da sie nachts lädt). Interessant wird auch sein, wie Männer künftig ihre Smartphones transportieren, denn spätestens das iPhone Plus passt nicht mehr in die Hosentasche.

Auf die Apps kommt es nun an

Der nächste Schritt in der Entwicklung sind die Apps. Das Angebot ist natürlich noch überschaubar, aber die Ideen liegen auf der Hand. Ich will eine Kicker-App, die mich über Tore meines Vereins direkt informiert. Ich will eine App, die mir die Staus vor mir auf der Autobahn anzeigt. Ich will Apps, die automatisch mein Haus und mein Auto aufschließen, wenn ich mich nähere. Ich will eine App, die meine Rechnung an der Supermarktkasse bezahlt (und alle nervigen Fragen nach Loyalty-Karten im Keim unterdrückt). Ich will damit meine Spotify-Musik hören, am besten natürlich in Verbindung mit einem drahtlosen Kopfhörer. Und ich will eine App, die mir Breaking-News liefert.

Ein Problem wird sicher die Bedienung sein. Die Sprachsteuerung, zum Beispiel zum Diktieren von Mails, ist eigentlich ziemlich ausgereift. Bei meiner Samsung Smartwatch mit Android Wear werden meine Worte ganz gut erkannt. Das funktioniert prima, wenn ich zum Beispiel ein „Notiz an mich: Schuhe abholen“ spreche. Trotzdem hole ich zum Verfassen einer Nachricht weiterhin mein Smartphone aus der Tasche und tippe lieber. Weil es dann doch sicherer funktioniert. Aber das mag Übungssache sein. Das Tippen auf das Display ist gewöhnungsbedürftig; dagegen ist das Rad an der Seite („Crown“) schon ziemlich gut und ein klarer Fortschritt gegenüber bisherigen „schlauen“ Uhren auf dem Markt.

Unabhängigkeit vom Smartphone muss her

Einen wichtigen Schritt müssen die Smartwatches aber noch schaffen: Sie müssen unabhängig von den Smartphones arbeiten. Im Haus ist es zum Beispiel furchtbar nervig, wenn meine Uhr die Bluetooth-Verbindung verliert, weil das Telefon gerade zwei Stockwerke entfernt liegt (Natürlich gibt es Apps, die den Verbindungsabbruch mit einem Vibrieren melden).

Zu Hause löst die W-Lan-Anbindung der Apple-Watch das Problem, aber unterwegs arbeiten bisher nur

Samsung Gear S

Samsung Gear S

wenige Uhren wie Samsungs Gear S unabhängig vom Smartphone. Aber es gibt viele Gelegenheiten wie Sport, bei denen die Stand-Alone-Uhr praktisch wäre. Ob die eingebauten Fitnesstracker das große Ding werden, glaube ich nicht. Denn das ist kein Massenmarkt. Aber es wird reichen, um den reinen Fitnesstrackern das Leben schwer zu machen – sehr schwer sogar. Dass Nike aus diesem Markt schon wieder ausgestiegen ist, war kein Zufall.

Muss die Schweizer Uhren-Industrie nun Angst haben? Das Luxus-Segment mit Preisen von 10000 Euro und mehr sicher nicht, denn Apple hat kein Interesse, in diese Sphären vorzudringen. Eine Gerät für eine so kleine Zielgruppe ergibt für Apples Ökosystem keinen Sinn. Aber im gehobenen Massenmarkt könnte die Uhr schon bald ein veritabler Konkurrent für Marken wie Swatch werden, die auch Ideen suchen, wie sie Jugendlichen wieder eine Uhr schmackhaft machen können.

Apps, Akku und User-Interface sind die Baustellen

Die Apple Watch hat jetzt noch nicht den gewaltigen Fortschritt gebracht, der von Apple immer erwartet wird. Der kolportierte Spruch von Chef-Designer Jonathan Ive, die Schweizer Uhren-Industrie stecke nun in Schwierigkeiten, ist also noch etwas zu optimistisch. Aber Apple hat die Entwicklung der intelligenten Uhren ein gutes Stück voran gebracht. Nun liegt der Ball erst einmal im Feld der App-Entwickler, die nützliche Dienste entwickeln müssen (s.o.). Da der Entwicklungszyklus der Uhren schneller ist bei bei Smartphones, wird der technische Fortschritt wohl jetzt Tempo aufnehmen. Apps, Akku und User-Interface heißen die Baustellen.