SAP und Telekom wollen gemeinsam Standards für Industrie 4.0 setzen

Im Auftrag der Bundesregierung sollen nun SAP und die Telekom die nötigen Standards für das Thema Industrie 4.0 vorantreiben.

Clemens

Rheinard Clemens

Die Deutsche Telekom und SAP gründen ein Konsortium, um gemeinsam Standards für die Digitalisierung und Vernetzung in der Industrie zu setzen. Damit werde die deutsche Industrie bei dem Zukunftsthema Industrie 4.0 mit einer Stimme sprechen, sagte Reinhard Clemens, Vorstandsmitglied der Deutschen Telekom, auf der CeBIT in Hannover.

“Einfach, pragmatisch und schnell wollen wir De-Facto-Standards schaffen. Wir müssen uns nicht vor Standards aus den USA fürchten. Wir wollen, dass bei einem so wichtigen Thema Deutschlands Stimme auch gehört wird”, sagte Clemens, der im Auftrag der Bundesregierung handelt. Die Kanzlerin hatte die beiden Unternehmen aufgefordert, die Standardisierung schneller voranzutreiben. Konkret soll der Standard gewährleisten, dass die Daten für Industrie 4.0, die in der Cloud gespeichert werden, dem deutschen Datenschutz unterliegen. Den Schutz ihrer Daten sehen vor allem Mittelständler als großes Hindernis auf dem Weg in die Industrie 4.0 an, wie Umfragen zeigen.

Parallel dazu entwickelt auch die “Plattform Industrie 4.0″ der Industrieverbände VDMA, ZVEI und BITKOM an Standards, darf diese wegen des Verbänderechts aber nicht veröffentlichen. Das SAP/Telekom-Konsortium ist ebenso Teil der neuen Industrie 4.0 Initiative, die auf der Cebit von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Forschungsministerin Johanna Wanka gestartet wurde. Die Leitung soll nun in der Hand der Politik und nicht mehr bei den Verbänden liegen.

Wenn Standards als Industriepolitik genutzt werden

Viele Standardisierer können zwar das Tempo erhöhen, aber am Ende wieder zu einem Flickenteppich unterschiedlicher Vorschriften führen. Daher plädiert Berater Aljoscha Walser für DIN-Normen: “DIN-Normen hätten den Vorteil, dass alle beteiligten Kreise am Tisch sitzen und die Ergebnisse von allen akzeptiert sind. Wenn, wie bei Konsortien üblich, keine Wettbewerber zusammenarbeiten, sondern aus jedem Sektor nur eine Firma, dann werden die Spezifikationen zum Mittel der Marktausgrenzung und genau das ist nicht im Interesse der deutschen Industrie”.

Wie schnell die Standardisierung zur Industriepolitik mutieren kann, zeigt der Branchenverband BITKOM. Der hat auf der Liste seiner Handlungsempfehlungen an erster Stelle “Differenziertes Netzmanagement” genannt, was eigentlich “Abkehr von der Netzneutralität” bedeutet, was erklärtes Ziel der Netzbetreiber wie der Deutschen Telekom ist, deren Vorstandschef Tim Höttges im Präsidium des BITKOM sitzt. Die Abkehr von der Netzneutralität fordern die Netzbetreiber aber in erster Linie, um Unternehmen wie Youtube oder Netflix, deren Dienste datenintensiv sind, zur Kasse zu bitten.

Keine rein deutschen Standards

Ein deutschen Alleingang sieht aber auch Telekom-Mann Clemens nicht als sinnvoll an. “Es wird keinen deutschen Standard geben, weil Deutschland eine Exportnation ist.” Auch Deutschland brauche einen international anerkannten Standard. Es gehe aber aber darum, “deutsche Interessen bei dem Thema koordiniert zu vertreten”. Große Unternehmen wie Siemens, Bosch und SAP hatten sich zuletzt dem amerikanischen “Industrial Internet Consortium” (IIC) angeschlossen.

Das IIC sei aber keine Konkurrenz zu Industrie 4.0 und wolle es auch gar nicht sein, sagt Heinrich Munz von Kuka Roboter und einer der Haupt-Standardisierer in der deutschen “Plattform Industrie 4.0″. “Das IIC will gar keine Standards setzen. Die Industrie 4.0 Plattform jedoch sehr wohl. Und es gibt im Hintergrund bereits Bestrebungen, die in Industrie 4.0 erarbeiteten Standards in das IIC einzubringen, um die Industrie 4.0 Standards auch außerhalb von Deutschland bekannt zu machen”, sagte Munz.

Was bedeutet Industrie 4.0?

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Andrew McAfee

Die letzte Phase in der Geschichte der Industrie, die so spannend war wie heute, war die Elektrifizierung“, schwärmt Andrew McAfee, Forscher an der amerikanischen Elite-Universität MIT. Die Transformation von der Dampfmaschine zur elektrischen Maschine habe damals Jahrzehnte gedauert. „An ihrem Ende standen ganz andere Unternehmen an der Weltspitze und nicht mehr England, sondern Amerika war die führende Wirtschaftsmacht“. Jetzt – glaubt nicht nur McAfee – steht eine ähnliche Umwälzung an: Die vierte industrielle Revolution lässt gerade Industrie und Informationstechnik (IT) miteinander verschmelzen. Intelligente Roboter, lernende Maschinen und moderne Software, die riesige Datenmengen verarbeiten kann, sind die treibenden Kräfte hinter der Digitalisierung der Wirtschaft, die in Deutschland kurz „Industrie 4.0“ genannt. Wieder steht der Wohlstand ganzer Nationen auf dem Spiel: „Für Deutschland hängt unglaublich viel davon ab, dass die beiden Welten IT und Industrie nicht weiter getrennt bleiben“, warnte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Unternehmen.

Roboter bringen Deutschland erhebliche Wettbewerbsvorteile

Denn der Einsatz moderner IT in klassischen Industrien kann schnell zweistellige Produktivitätsgewinne bringen. Zum Beispiel im Hamburger Hafen. Dort wurde der Warenumschlag um 14 Prozent gesteigert, weil nicht nur Menschen, sondern auch Maschinen miteinander vernetzt sind. „LKW, Schiffe und Brücken informieren sich gegenseitig. Der LKW muss nicht im Hafen stehen, wenn das Schiff noch nicht da ist. Die Brücke muss nicht geschlossen sein, wenn der LKW noch nicht darüber fahren muss“, erklärt SAP-Chef Hasso Plattner das Prinzip der Vernetzung.

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Erhebliche Produktivitätsgewinne zwischen 10 und 30 Prozent werden auch moderne Roboter bringen, schätzt die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG). Bisher war der Einsatz von Robotern in der Produktion meist großen Unternehmen vorbehalten, die hohe Investitionen stemmen konnten. Das ändert sich nun: „Preis und Leistung der Roboter verbessern sich rapide“, sagt BCG-Berater Michael Zinser. Inzwischen gibt es Leichtbau-Roboter ab 25000 Dollar, die direkt in den Fertigungshallen mit den Menschen arbeiten. Die Folge: Der Absatz der Industrieroboter ist 2014 schon um 23 Prozent gestiegen und wird weiter schnell zulegen. Einer der größten Profiteure der Invasion der Roboter in die Fabrikhallen wird Deutschland sein. Werden das zu erwartende Automatisierungstempo und die Entwicklung der Lohnkosten einkalkuliert, erhöhen die Roboter die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands deutlich. Im Vergleich zu den USA verbessert sich der „BCG Global Manufactoring Cost-Competitive Index“ Deutschlands um 4 Prozentpunkte. Nur Südkorea wird noch einen größeren Vorteil aus der Automatisierung erzielen, während fast alle europäischen Nachbarländer wegen restriktiver Arbeitsgesetze weniger wettbewerbsfähig werden, haben die Berater errechnet. Angenehmer Nebeneffekt: Die Verlagerung von Produktionsstätten in Niedriglohnländer wird zu Ende gehen, erwarten die BCG-Berater in ihrer Analyse „The Shifting Economics of Global Manufactoring“.

Das Ende des Sachbearbeiters in der Versicherung

Unter Anpassungsdruck stehen aber nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Arbeitnehmer, die sich auf die Digitalisierung vorbereiten müssen.„Besonders betroffen sind die Routine-Jobs der Wissensarbeiter, zum Beispiel der Buchhalter. Der Ersatz der Menschen durch Maschinen wird die Skala der geistigen Fähigkeiten hinaufklettern“, sagt MIT-Forscher McAfee voraus. Nach Ansicht der beiden britischen Wissenschaftler Carl Benedikt Frey und Michael Osbourne sind 47 Prozent aller Jobs in den kommenden zwei Jahrzehnten bedroht. Ganz oben auf der Liste stehen Verkäufer, Immobilienmakler, Textverarbeiter und sogar Piloten und Ökonomen. Wie realistisch die Gefahr für die Schreibtischarbeiter schon ist, zeigt das kleine Kölner Unternehmen Cognotekt, das Geschäftsprozesse mit Hilfe künstlicher Intelligenz automatisiert – und damit bisherige Arbeitsplätze in Versicherungen in großer Zahl wegrationalisiert. Für die Prüfung, ob eventuell ein Betrugsversuch vorliegt oder ob die Assekuranz die zu zahlende Schadenssumme eventuell senken kann, beschäftigt die deutsche Versicherungsbranche heute zehntausende Sachbearbeiter. „In zehn Jahren werden nur noch 10 bis 20 Prozent dieser Sachbearbeiter benötigt“, sagt Cognotekt-Geschäftsführer Jobst Landgrebe voraus. „Denn Maschinen können heute mit 99,9 Prozent Genauigkeit die Fälle herausfiltern, die genauer angeschaut werden sollten“. Selbst die Entscheidung, ob es sich um einen guten Kunden handelt, der kulant behandelt werden sollte, treffe die intelligente Software inzwischen selbständig.

Weiterhin Menschen in der Fabrik

So wie der Job der Sachbearbeiter werden in den kommenden Jahren viele Tätigkeiten, die sich wiederholen und im Prinzip nur aus der Verarbeitung von Daten bestehen, von Maschinen erledigt. „Was sich gut strukturieren lässt, wird in den nächsten 10 bis 15 Jahren von Computern erledigt“, sagt der Wissenschaftler voraus. Übrig bleiben alle Tätigkeiten mit komplexen Entscheidungen. „Die Fähigkeit, die den Menschen eigentlich ausmacht, ist nicht ersetzbar“. Zusätzlich werden auch viele neue Jobs geschaffen, vor allem für die Strukturierung der Daten, die Maschinen für ihre Arbeit benötigen.

Michael Zürn

Ohnehin gilt das Bild der menschenleeren Fabrik, in der nur noch Roboter arbeiten, als veraltet. In der modernen Fabrik  arbeiten Menschen und Maschine direkt und ohne Schutzzäune nebeneinander. Der Roboter nehme dem Mensch viele unangenehme Tätigkeiten ab, sagt Michael Zürn vom Autohersteller Daimler. „Robot Farming“ wird diese enge Kooperation zwischen Mensch und Maschine bei Daimler genannt, die nur funktionieren kann, weil der Roboter den Menschen über seine vielfältigen Sensoren „spüren“ könne und ihm daher auch nicht gefährlich werde. “Die Feinfühligkeit des Menschen im Montageprozess wird mit der Wiederholgenauigkeit und Ausdauer der Roboter kombiniert”, erklärte Zürn, der das Konzept gemeinsam mit Roboterhersteller Kuka entwickelt hat. Die Idee funktioniere aber nur, wenn die Fabrik wandlungsfähig sei. Starre Produktionsstraßen seien dafür nicht zu gebrauchen. Am Ende des Prozesses werde diese „Smart Factory“ mehr Arbeitskräfte als zuvor beschäftigen, da mehr Aufgaben selbst erledigt werden könnten, was in letzter Konsequenz mehr Insourcing bedeutet.

Digitalisierung wird Ungleichheit der Einkommensverteilung erhöhen

Ganz so optimistisch für die Rolle des Menschen ist der Dortmunder Arbeitswissenschaftler Jochen Deuse allerdings nicht. „In der Produktion verbleiben viele Aufgaben mit geringen Anforderungen; daneben entstehen aber auch zunehmenden Arbeitsaufgaben mit hohen Anforderungen“, sagte Deuse. Im Klartext: Dazwischen werden viele Jobs vom Roboter übernommen. „Ich erwarte einen Rationalisierungsschub im Bereich der Verwaltungstätigkeiten“, so Deuse . Irgendwo müssten die erhofften Produktivitätsfortschritte von bis zu 30 Prozent schließlich herkommen.

Die Entwicklung der lernenden Maschinen wird die Einkommensverteilung in der Gesellschaft drastisch ändern. Es wird zu einem langfristigen Rückgang im Anteil der Arbeit am Einkommen und einer wachsenden Abhängigkeit des aktuellen Outputs von früheren Investitionen in Software kommen, folgern Seth Benzell, Laurence Kotlikoff und Guillermo LaGarda von der Boston University und Jeffrey Sachs von der Columbia Universität in ihrer Studie „Robots Are Us: Some Economics of Human Replacement“. Die Folge wird ein steigender Bedarf an politischen Eingriffen zur Umverteilung der Einkommen sein, um die ungleiche Verteilung aus den Arbeitseinkommen zu korrigieren, erwarten die Wissenschaftler.

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