Kollege Roboter: Wie die Digitalisierung Arbeit und Produktion umkrempeln wird
Die digitale Transformation der Wirtschaft wird tiefe Spuren hinterlassen: Moderne Software ersetzt die Jobs vieler Wissensarbeiter; Roboter werden zum Kollegen in den Fabrikhallen.
„Die letzte Phase in der Geschichte der Industrie, die so spannend war wie heute, war die Elektrifizierung“, schwärmt Andrew McAfee, Forscher an der amerikanischen Elite-Universität MIT. Die Transformation von der Dampfmaschine zur elektrischen Maschine habe damals Jahrzehnte gedauert. „An ihrem Ende standen ganz andere Unternehmen an der Weltspitze und nicht mehr England, sondern Amerika war die führende Wirtschaftsmacht“. Jetzt – glaubt nicht nur McAfee – steht eine ähnliche Umwälzung an: Die vierte industrielle Revolution lässt gerade Industrie und Informationstechnik (IT) miteinander verschmelzen. Intelligente Roboter, lernende Maschinen und moderne Software, die riesige Datenmengen verarbeiten kann, sind die treibenden Kräfte hinter der Digitalisierung der Wirtschaft, die in Deutschland kurz „Industrie 4.0“ genannt. Wieder steht der Wohlstand ganzer Nationen auf dem Spiel: „Für Deutschland hängt unglaublich viel davon ab, dass die beiden Welten IT und Industrie nicht weiter getrennt bleiben“, warnte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Unternehmen.
Zweistellige Produktivitätsgewinne
Denn der Einsatz moderner IT in klassischen Industrien kann schnell zweistellige Produktivitätsgewinne bringen. Zum Beispiel im Hamburger Hafen. Dort wurde der Warenumschlag um 14 Prozent gesteigert, weil nicht nur Menschen, sondern auch Maschinen miteinander vernetzt sind. „LKW, Schiffe und Brücken informieren sich gegenseitig. Der LKW muss nicht im Hafen stehen, wenn das Schiff noch nicht da ist. Die Brücke muss nicht geschlossen sein, wenn der LKW noch nicht darüber fahren muss“, erklärt SAP-Chef Hasso Plattner das Prinzip der Vernetzung.
Erhebliche Produktivitätsgewinne zwischen 10 und 30 Prozent werden auch moderne Roboter bringen, schätzt die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG). Bisher war der Einsatz von Robotern in der Produktion meist großen Unternehmen vorbehalten, die hohe Investitionen stemmen konnten. Das ändert sich nun: „Preis und Leistung der Roboter verbessern sich rapide“, sagt BCG-Berater Michael Zinser. Inzwischen gibt es Leichtbau-Roboter ab 25000 Dollar, die direkt in den Fertigungshallen mit den Menschen arbeiten. Die Folge: Der Absatz der Industrieroboter ist 2014 schon um 23 Prozent gestiegen und wird weiter schnell zulegen. Einer der größten Profiteure der Invasion der Roboter in die Fabrikhallen wird Deutschland sein. Werden das zu erwartende Automatisierungstempo und die Entwicklung der Lohnkosten einkalkuliert, erhöhen die Roboter die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands deutlich. Im Vergleich zu den USA verbessert sich der „BCG Global Manufactoring Cost-Competitive Index“ Deutschlands um 4 Prozentpunkte. Nur Südkorea wird noch einen größeren Vorteil aus der Automatisierung erzielen, während fast alle europäischen Nachbarländer wegen restriktiver Arbeitsgesetze weniger wettbewerbsfähig werden, haben die Berater errechnet. Angenehmer Nebeneffekt: Die Verlagerung von Produktionsstätten in Niedriglohnländer wird zu Ende gehen, erwarten die BCG-Berater in ihrer Analyse „The Shifting Economics of Global Manufactoring“.
Das Ende des Sachbearbeiters
Unter Anpassungsdruck stehen aber nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Arbeitnehmer, die sich auf die Digitalisierung vorbereiten müssen.„Besonders betroffen sind die Routine-Jobs der Wissensarbeiter, zum Beispiel der Buchhalter. Der Ersatz der Menschen durch Maschinen wird die Skala der geistigen Fähigkeiten hinaufklettern“, sagt MIT-Forscher McAfee voraus. Nach Ansicht der beiden britischen Wissenschaftler Carl Benedikt Frey und Michael Osbourne sind 47 Prozent aller Jobs in den kommenden zwei Jahrzehnten bedroht. Ganz oben auf der Liste stehen Verkäufer, Immobilienmakler, Textverarbeiter und sogar Piloten und Ökonomen.
Wie realistisch die Gefahr für die Schreibtischarbeiter schon ist, zeigt das kleine Kölner Unternehmen Cognotekt, das Geschäftsprozesse mit Hilfe künstlicher Intelligenz automatisiert – und damit bisherige Arbeitsplätze in Versicherungen in großer Zahl wegrationalisiert. Für die Prüfung, ob eventuell ein Betrugsversuch vorliegt oder ob die Assekuranz die zu zahlende Schadenssumme eventuell senken kann, beschäftigt die deutsche Versicherungsbranche heute zehntausende Sachbearbeiter. „In zehn Jahren werden nur noch 10 bis 20 Prozent dieser Sachbearbeiter benötigt“, sagt Cognotekt-Geschäftsführer Jobst Landgrebe voraus. „Denn Maschinen können heute mit 99,9 Prozent Genauigkeit die Fälle herausfiltern, die genauer angeschaut werden sollten“. Selbst die Entscheidung, ob es sich um einen guten Kunden handelt, der kulant behandelt werden sollte, treffe die intelligente Software inzwischen selbständig.
Weiterhin Menschen in der Fabrik
So wie der Job der Sachbearbeiter werden in den kommenden Jahren viele Tätigkeiten, die sich wiederholen und im Prinzip nur aus der Verarbeitung von Daten bestehen, von Maschinen erledigt. „Was sich gut strukturieren lässt, wird in den nächsten 10 bis 15 Jahren von Computern erledigt“, sagt der Wissenschaftler voraus. Übrig bleiben alle Tätigkeiten mit komplexen Entscheidungen. „Die Fähigkeit, die den Menschen eigentlich ausmacht, ist nicht ersetzbar“. Zusätzlich werden auch viele neue Jobs geschaffen, vor allem für die Strukturierung der Daten, die Maschinen für ihre Arbeit benötigen.
Ohnehin gilt das Bild der menschenleeren Fabrik, in der nur noch Roboter arbeiten, als veraltet. In der modernen Fabrik arbeiten Menschen und Maschine direkt und ohne Schutzzäune nebeneinander. Der Roboter nehme dem Mensch viele unangenehme Tätigkeiten ab, sagt Michael Zürn vom Autohersteller Daimler. „Robot Farming“ wird diese enge Kooperation zwischen Mensch und Maschine bei Daimler genannt, die nur funktionieren kann, weil der Roboter den Menschen über seine vielfältigen Sensoren „spüren“ könne und ihm daher auch nicht gefährlich werde. “Die Feinfühligkeit des Menschen im Montageprozess wird mit der Wiederholgenauigkeit und Ausdauer der Roboter kombiniert”, erklärte Zürn, der das Konzept gemeinsam mit Roboterhersteller Kuka entwickelt hat. Die Idee funktioniere aber nur, wenn die Fabrik wandlungsfähig sei. Starre Produktionsstraßen seien dafür nicht zu gebrauchen. Am Ende des Prozesses werde diese „Smart Factory“ mehr Arbeitskräfte als zuvor beschäftigen, da mehr Aufgaben selbst erledigt werden könnten, was in letzter Konsequenz mehr Insourcing bedeutet.
Zug für Deutschland schon abgefahren?
Ganz so optimistisch für die Rolle des Menschen ist der Dortmunder Arbeitswissenschaftler Jochen Deuse allerdings nicht. „In der Produktion verbleiben viele Aufgaben mit geringen Anforderungen; daneben entstehen aber auch zunehmenden Arbeitsaufgaben mit hohen Anforderungen“, sagte Deuse. Im Klartext: Dazwischen werden viele Jobs vom Roboter übernommen. „Ich erwarte einen Rationalisierungsschub im Bereich der Verwaltungstätigkeiten“, so Deuse . Irgendwo müssten die erhofften Produktivitätsfortschritte von bis zu 30 Prozent schließlich herkommen.
Ob Deutschland am Ende des Transformationsprozesses noch die führende Industrienation ist, hängt entscheidend von der Einführung der modernen Technik ab. „Es ist nicht ausgemacht, dass Deutschland Innovationstreiber der Industrie bleibt“, warnt auch Gabriel. Denn obwohl Deutschland die „Industrie 4.0“ erfunden hat, um seine Standards in aller Welt zu etablieren, haben die Amerikaner schon wieder die Nase vorn. „Die USA haben mit ihrem Standard MTConnect die Tür weit aufgestoßen, die Datenzugänge für die Maschinen zu definieren“, kritisiert Franz Gruber vom Softwareanbieter Forcam die bräsigen Deutschen, die schon das Consumer-Internet an Google, Apple, Facebook und Amazon verloren hätten. Inzwischen unterstützen selbst deutsche Industrie-4.0-Pioniere wie Siemens den US-Standard, weil global aufgestellte Unternehmen kein großes Interesse an einem deutschen Alleingang haben. „Die Marke Industrie 4.0 existiert ohnehin nur in Deutschland“ meldet Richard Soley, der Chef des konkurrierenden amerikanischen Industrial Internet Consortiums (IIC), die Ansprüche der Amerikaner an.
“Maximal 10 Prozent der Mittelständler arbeiten an Industrie 4.0″
Für die Deutschen sei der Zug ohnehin abgefahren, befürchtet Gruber. „Deutschland muss sich entscheiden: Entweder bin ich Innovator oder Follower. Die Entscheidung scheint gefallen zu sein, denn eine entsprechende Gegeninitiative zu MTConnect sehe ich nicht“, warnt der Unternehmen, dessen Industrie-4.0-Software inzwischen vor allem Abnehmer in den USA findet und auf wachsendes Interesse in China stößt. In Deutschland läuft es dagegen zäh: „Maximal 10 Prozent der Mittelständler arbeiten schon an Industrie 4.0. Der große Rest redet das Thema weg und macht nichts“, sagt Gruber.
Die Entwicklung der lernenden Maschinen wird die Einkommensverteilung in der Gesellschaft drastisch ändern. Es wird zu einem langfristigen Rückgang im Anteil der Arbeit am Einkommen und einer wachsenden Abhängigkeit des aktuellen Outputs von früheren Investitionen in Software kommen, folgern Seth Benzell, Laurence Kotlikoff und Guillermo LaGarda von der Boston University und Jeffrey Sachs von der Columbia Universität in ihrer Studie „Robots Are Us: Some Economics of Human Replacement“. Die Folge wird ein steigender Bedarf an politischen Eingriffen zur Umverteilung der Einkommen sein, um die ungleiche Verteilung aus den Arbeitseinkommen zu korrigieren, erwarten die Wissenschaftler.