Die Geschäftsmodelle der digitalen Elite

Für die Digitalisierung ihres Unternehmens sollten sich die Entscheider nicht nur neue Produkte, sondern am besten auch gleich ein neues Geschäftsmodell einfallen lassen. Eine Umfrage zeigt die beliebtesten Modelle und auch die Techniken, auf die es nun ankommt.

Unternehmenslenker leben in einer spannenden, unberechenbaren Zeit. Stetige Begleiterin der Entscheider ist die Ungewissheit, welche technische Entwicklung und welches neue Geschäftsmodell morgen ihre Welt verändern wird. Früher waren „disruptive Innovationen“, wie sie HBS-Professor Clayton Christensen erstmals beschrieben hat, eine Ausnahmeerscheinung. Heute, in Zeiten beschleunigten technischen Fortschritts in mehreren Disziplinen wie künstlicher Intelligenz, 3D-Druck, Sensorik oder Robotik, treten Disruptionen viel häufiger auf. Ein Beispiel ist das „Uber-Syndrome“, wenn ein Wettbewerber mit einem komplett anderen Geschäftsmodell plötzlich in ihre Industrie eintritt und ihr Unternehmen aus dem Markt wirft. Und wer deswegen heute schon schlecht schläft, dem sei versichert, das Tempo des technischen Fortschritts wird nicht mehr fallen. „Der digitale Wandel wird nie wieder so langsam sein wie heute“, sagte der Deutschland-Chef von Google, Philipp Justus. Und wer wissen möchte,  was in der kommenden Dekade auf uns zukommt, sollte sich die Tipping-Points der Digitalisierung anschauen.

Geschäftsmodell wichtiger als Produkt?

Wie gehen die Führungskräfte mit dieser Unsicherheit und gleichzeitig dem großen Chancenreichtum um? Wie wappnet man sein Unternehmen gegen Angreifer, die es noch gar nicht kennt und nicht weiß, aus welcher Ecke sie kommen werden? Reichen Produktinnovationen noch aus, wenn ganze Märkte über neue digitale Geschäftsmodelle geschaffen beziehungsweise zerstört werden? Wieder das Beispiel Uber: Das Unternehmen revolutioniert den Transportmarkt nicht über ein Produkt, sondern das Geschäftsmodell einer digitalen Plattform. Anders Apple: Am Anfang stand das iPhone. Erst nach dem genialen Produkt kam das ebenso geniale Plattform-Modell des App-Stores, der den Kunden den Zugang zu Millionen Anwendungen brachte, die das iPhone noch besser machten. Wahrscheinlich hätte das iPhone auch allein ausgereicht, um Platzhirsch Nokia zu „zerstören“. Aber gegen Apples Kombination aus Produkt- und Geschäftsmodell-Disruption waren die Finnen chancenlos.

Wie Unternehmen auf die Digitalisierung am besten vorbereiten werden, hat IBM 5247 Entscheider aus 21 Industrien und 70 Ländern gefragt. Darin enthalten war auch die Frage, was genau die innovativen, schnell wachsenden und hochprofitablen Leuchttürme nun anders machen als die Nachzügler, die der digitalen Entwicklung meist hinterherlaufen?

Auf digitale Eindringlinge vorbereitet sein

Die „Leuchttürme“ waren sich des Risikos, von Neueinsteigern „disrupted“ zu werden, viel stärker bewusst als die Nachzügler. Wer wachsam ist, kann entsprechend schneller reagieren, wenn es soweit ist. Sie wagten sich deutlich schneller auf neue Märkte hinaus mit dem Ziel, First Mover zu sein. Sie geben auch dem Kundenfeedback viel mehr Aufmerksamkeit als die Nachzügler. Und der Aspekt mit dem größten Unterschied zwischen digitalen Pionieren und Nachzüglern: Erst mit dezentralen Entscheidungsprozessen konnten Unternehmen die nötige Geschwindigkeit aufnehmen. Hierarchische Strukturen erwiesen sich immer mehr als Hindernis auf dem Weg zu einem schnellen Digitalunternehmen. „Mehr Scouts an die Front“ lautet daher der Tipp, mehr Entscheidungskompetenz zu den Mitarbeitern mit direktem Kundenkontakt zu verlagern.

Bevorzugte Geschäftsmodelle: Offen und Plattformen

Technologie ist kein Selbstzweck. Das Ziel des Einsatzes ist bevorzugt die Entwicklung besserer Produkte und Services sowie engerer Kundenbeziehungen. Erst danach folgen Ziele wie eine höhere Effektivität in der Produktion, dem Marketing und dem Vertrieb. Das passt zur Erkenntnis, dass Angreifer sich mit Kostensenkungen nicht dauerhaft abwehren lassen.

Zusätzlich experimentieren 80 Prozent der Befragten mit neuen Geschäftsmodellen. Die beiden beliebtesten Modelle sind das offene Modell, bei dem es eine systematische Zusammenarbeit mit Außenstehenden gibt, um neue Wege zu finden, und das Plattform-Modell. Dabei schiebt sich ein Vermittler zwischen Anbieter und Nachfrager und kassiert bei jeder Transaktion eine Vermittlungsgebühr. Danach folgen die Modelle als Integrator, das Freemium-Modell, das „Rasierer und Klingen“ Modell (also ein Basisprodukt wie einen Rasierer günstig zu verkaufen und für entsprechende Komplementärprodukte wie die Klingen dann viel Geld zu verlangen) und das Long-Tail-Modell.  Die Wahl eines neuen Geschäftsmodells, das oft zuerst in einem Testlabor geprüft wird, um das Kerngeschäft nicht zu kannibalisieren, gehört sicher zu den wichtigsten Aufgaben in einer digitalen Transformation.

Folie16

Die nächste Welle: Konkurrenten aus dem „Nichts“

Als nächste große Welle, die auf die Unternehmen zurollt, wird das Verschwimmen der Grenzen zwischen Industrien gesehen. Mit Hilfe des technischen Fortschritts können Unternehmen ihre Kenntnisse in einem Gebiet heute relativ einfach in einen anderen Markt übertragen. Paradebeispiel ist Google, weil der Konzern mit seinem Software-Wissen ein selbstfahrendes Auto gebaut hat. Von allen in den kommenden drei bis fünf Jahren erwarteten „nächsten Wellen“ erhielt die Auflösung klassischer Branchengrenzen die höchste Zustimmung, mit klarem Vorsprung vor dem „Überall-Arbeitsplatz“ und zunehmenden Cyber-Risiken. Ganz am Ende der Rangliste wurden alternative Finanzmechanismen und die Sharing-Economy eingestuft.

Angreifer aus der Digitalbranche nehmen sich meist eine Schlüsselstelle in der Wertschöpfungskette vor und setzen sich dort zwischen Kunden und traditionellen Anbieter, der dann im Hintergrund verschwindet. Dabei lassen sich zwei Arten von Eindringlingen unterscheiden: Digitalgiganten wie Alibaba oder Tencent, die in China die traditionellen Banken frontal angreifen. Oder die „Wadenbeißer“, also viele kleine Startups, die einzeln oft nicht als Gefahr wahrgenommen werden, aber in ihrer Masse durchaus gefährlich werden können. Die europäische Fintech-Branche besteht aus vielen dieser Wadenbeißer, die sich mit einem besseren Frontend zwischen Bank und Bankkunde setzen wollen, aber in der Regel keine Banklizenz besitzen und das harte Banking-Geschäft auch gar nicht wollen.

War es früher relativ einfach, seine Peer-Group im Auge zu behalten, wird die Gefahr möglicher Konkurrenten, die von außen kommen, inzwischen als viel größer eingestuft. Im Vergleich zur Umfrage im Jahr 2013 ist die Erwartung neuer Konkurrenten aus anderen Industrien um 26 Prozent gestiegen.

Bildschirmfoto 2015-11-28 um 23.04.39

Technologie als Game Changer

Auf die Frage, welche Faktoren den Wettbewerb maßgeblich beeinflussen, lauteten die beiden häufigsten Antworten „Technologie“ und „Marktfaktoren“, womit neue Geschäftsmodelle gemeint sind. Neu daran: Während die Vorstandschefs schon seit Jahren die Technologie als wichtigsten Game Changer sehen, haben sich nun erstmals auch ihre Vorstandskollegen für Finanzen, Marketing, Technologie und Personal dieser Meinung angeschlossen.

Mit Technikeinsatz aber „nur“ eine erhöhte Effizienz zu erreichen genügt den Führungskräften aus aller Welt aber nicht, weil sich damit keine dauerhaften Wettbewerbsvorteile erzielen lassen. Ihr Ehrgeiz geht weiter – und das ist ein wichtiger Unterschied zu vielen deutschen Entscheidern. Befragt nach den Zielen ihrer Industrie-4.0-Strategie werden in Deutschland meist die Digitalisierung der Fabrik mit dem Ziel der Automation und daraus folgender Kostensenkung genannt. Märkte, die disrupted werden, lassen sich mit Kostensenkungen aber bestenfalls temporär verteidigen. Selbstfahrende Autos lassen sich nun mal nicht aufhalten, wenn die Taxifahrer weniger Geld verdienen.

Um eigene Wettbewerbsvorteile zu erzielen, spielen eine größere Nähe zu den Konsumenten und direkte Interaktionen mit ihnen eine wichtige Rolle. „Wir haben nun die Tools, um 90 Prozent unserer Kunden zu verstehen, aber wir müssen zu einem „Segment = Eins“ Verständnis kommen“, sagt der Chef eines britischen Energieversorgers. Das funktioniert nur über digitale Kanäle, so dass das Engagement mit dem Kunden noch digitaler und noch individueller wird.

Bildschirmfoto 2015-11-28 um 23.06.13

 

Auf die richtige Technologie setzen: Cloud Computing, Mobile und das Internet der Dinge

In Zeiten schnellen technischen Fortschritts ist es schwer, Hype, Trend und Tsunami zu unterscheiden. Auf die Frage, welche technischen Entwicklungen schon in Kürze wesentlichen Einfluss auf das Unternehmen haben werden, ragten Cloud Computing, Mobile Lösungen und das Internet der Dinge heraus.

  • Cloud Computing: Die Vorteile sind mehr Tempo und Agilität in den Unternehmen, geringere Kapitalbindung und Betriebskosten und eine einfachere Zusammenarbeit.
  • Mobile Lösungen: Sie verschaffen Zugang zu Echtzeitdaten und die Möglichkeit, den Kunden besser zu versorgen.
  • Das Internet der Dinge schafft die Möglichkeit, Produkte um intelligente Services zu erweitern und zu personalisieren.
  • Cognitives Computing und Machine Learning helfen dabei, den Kunden besser zu verstehen, produktiver zu werden und bessere Vorhersagen zu treffen.
  • Fortgeschrittene Produktionsmethoden erhöhen die Effizienz und schaffen die Möglichkeit zur individuellen Fertigung. 3D-Drucker spielen hier eine große Rolle.
  • Neue Energielösungen sind vor allen in der Energie- und Autoindustrie ein großes Thema. Eine höhere Effizienz, neue Geschäftsmodelle und der Umweltschutz sind wesentliche Effekte.
  • Bioengineering schafft Möglichkeiten, Lebensmittel, Medikamente oder medizinische Dienstleistungen besser zu produzieren.
  • Mensch-Maschine-Hybriden besitzen das Potenzial, medizinische und komplexe mechanische Vorteile zu bringen und Kosten zu senken.

Hier nun die bevorzugten Zukunftstechnologien, aufgeschlüsselt nach Branchen:

Folie01 Folie02 Folie03 Folie04 Folie05 Folie06 Folie07 Folie08 Folie09 Folie10 Folie11 Folie12 Folie13 Folie14