„In 10 Jahren werden sich die deutschen Industrieplayer fragen, warum sie nicht die führende Plattform für Maschinen aufgebaut haben“

In der Konsumentenwelt beherrschen Plattformen aus den USA und China die Weltmärkte. Zögert die deutsche Industrie weiter mit einem Engagement in der Plattform-Ökonomie, könnte ihr das gleiche Schicksal drohen, fürchtet Peter F. Schmid, CEO von Wer liefert was.

Plattformen verändern die Spielregeln der Ökonomie. Kaum einer in Deutschland weiß das besser als Peter F. Schmid, der seit 2001 wichtige Player der deutschen Plattform-Ökonomie wie Autoscout24, mobile.de und Parship geleitet hat. Seit 2012 führt er die B2B-Plattform „Wer liefert was“ (wlw), die zwar schon seit 1932 als Nachschlagewerk für die gewerbliche Wirtschaft existiert, aber erst mit Schmid den Wandel zu einer horizontalen B2B-Plattform vollzogen hat. Die starken Positionen, die Amazon oder Alibaba im Handel erreicht haben, besitzen Plattformen in der B2B-Welt bisher nicht. Aber er sieht keinen Grund, warum sich die Geschichte aus der Konsumentenwelt nicht im Handel zwischen Unternehmen wiederholt.

Amazon Business ist genauso auf dem Weg in die B2B-Welt wie Alibaba. Aber ähnlich wie die Einzelhändler, Medien oder Reiseveranstalter in Deutschland vor 15 Jahren nicht verstanden haben, wie Plattformen die Margen aus ihrem Geschäft absaugen, zieren sich heute die großen Industrieplayer, diese Märkte zu besetzen. „Wenn ich auf die deutsche Industriepower schaue und dann sehe, an wie wenigen Plattformen die deutsche Industrie beteiligt ist, erschreckt mich das total. Gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Konsumenten-Welt, die heute in der Hand der Amerikaner und Chinesen ist“, warnt Schmid. Die Zurückhaltung gilt für den Aufbau eigener Plattformen ebenso wie für ein Engagement auf bestehenden Marktplätzen.

Schmid schätzt vor allem Alibaba stark ein, auch wenn Gründer Jack Ma im Moment den Fokus auf den Wettbewerb mit Amazon legt. „In dieser Schlacht mit Amazon um den Konsumenten haben wir erst den Anfang gesehen. Aber machen wir uns nichts vor: Früher oder später wird Alibaba auch die B2B-Märkte wieder stärker angehen. Alibaba hat einen großen Vorteil – und das ist der Unterschied zu Amazon: Der Austausch Europa-Asien ist weit größer als zwischen Europa und den USA. Mit einem starken Standbein in China kann Alibaba den B2B-Handel mit Europa viel leichter angehen als Amazon. Der Markt ist riesig“, erwartet Schmid.

„Wir rechnen täglich mit Alibaba“

Wann genau Alibaba das B2B-Geschäft wieder in den Fokus rückt, weiß auch er nicht. Nur soviel ist für ihn sicher: „Es geschieht bald. Wir rechnen eigentlich täglich damit, denn es wäre ein logischer Schritt. Alibaba wird dem Konkurrenten Amazon Business nicht allzu viel Vorsprung lassen“. Amazons Geschäftssparte wächst im Moment mit 20 Prozent im Monat; die Kunden können sich die Produkte inzwischen per „Business Prime“ innerhalb von 48 Stunden für eine jährliche Flatrate liefern lassen. Neben den USA hat Amazon die Flatrate für Businesskunden bisher nur in Deutschland gestartet, wo inzwischen auch die ersten Prime-LKW auf den Straßen zu sehen sind.

Noch wagen sich die Plattform-Giganten nicht an den Handel mit Maschinen heran. „Bis Amazon und Alibaba auch Industrieprodukte verkaufen, wird es – Gott sei Dank – noch etwas dauern. Das hat mehrere Gründe wie die Komplexität der Produkte, aber auch die Zurückhaltung der Hersteller. Die haben, gerade in der aktuellen Konjunkturlage, wenig Interesse, ihre Produkte mit einem Preisschild versehen auf einem Online-Marktplatz anzubieten. Eine deutsche Chemiepumpe mit Preisschild werden Sie im Internet nicht finden. Das ist im Ausland anders. Viele Maschinenbauer aus Asien haben damit kein Problem. Um den Weltmarkt zu erobern, müssen die Produkte aber im Netz zu finden sein und Preise sowie Verfügbarkeit mitbringen. Die deutschen Hersteller sind aber noch nicht soweit. Für sie spielen Aspekte wie Qualität, Service oder Verfügbarkeit eine größere Rolle als der Preis“.

„Deutsche Industrie wäre einer der Profiteure einer Plattform-Strategie“

Welche Möglichkeiten eröffnen sich also der deutschen Industrie, selbst Plattformen aufzubauen? „Der B2B-Bereich ist super fragmentiert und bietet damit viele Gelegenheiten auch für andere Plattformen. Bei den consumernahen Themen, zum Beispiel Büromaterial oder Bohrmaschinen, bin ich aber auch superschnell bei Amazon Business oder Alibaba. Gegen deren Erfahrung und Marktmacht anzugehen, wird immer schwieriger. Das sieht bei komplexeren Investitionsgütern ganz anders aus. Da stehen wir noch ganz am Anfang“, sagt Schmid. Dabei wäre die deutsche Industrie aufgrund ihrer Exportstärke einer der großen Profiteure einer Plattform-Strategie. „Aber auch 2017 werden die meisten Produkte noch auf Messen verkauft. Den Interessenten aus Asien erreicht man damit nicht – aber den könnte man erreichen. Das gilt auch für komplexe Produkte, deren Funktionen sich bald mit einer VR-Brille gut anschauen lassen. Dafür braucht man keine Messen mehr.“

Schmid will „Wer liefert was“ zum größten B2B-Marktplatz Europas ausbauen. Sieben Millionen Produkte sind inzwischen auf der Plattform; 45 Millionen Euro Umsatz erzielt das Unternehmen und wächst zweistellig. Im Frühjahr hat die Schweizerische Beteiligungsgesellschaft Capvis wlw übernommen. Es passt ins Bild, dass auch diese Plattform so wie Scout 24, mobile.de oder Trivago nicht in deutschen Händen geblieben ist.

Das Ziel von „Wer liefert was“: Der größte B2B-Marktplatz Europas und zentraler Datenhub

Entscheidend ist für wlw die Anbindung an die Produktdatenbanken. „Unsere Vision ist ein zentraler Datenhub. Der Hersteller gibt uns die Produktdaten seiner Maschinen, und wir verteilen sie in der ganzen Welt, damit möglichst viele Interessenten sie sehen. Eines Tages wollen wir diese Daten dann zu Alibaba oder Amazon schieben, um deren Reichweite mit zu nutzen. Im B2B-Geschäft kann man mit einem Marktplatz nicht alles abdecken“.

Auch in China gibt es nicht nur Alibaba. „MakePolo wächst gerade sehr stark, Global Market oder Made in China, die eine gewisse Größe haben und die alle an einem hohen Austausch mit Europa interessiert sind. Wir denken in Europa alle zu klein. Die Plattformen müssen weltweit präsent sein. Wir schauen uns den Plattform-Markt in China an, der sehr dynamisch ist. Kein Player ist dort für immer gesetzt. Der Player, der für den chinesischen Einkäufer die Brücke nach Europa spannen kann, wird enormen Zulauf bekommen. Wir stehen total am Anfang.“