„Wenn Daten das neue Öl sind, dann ist China die neue OPEC“
Kai Fu Lee, einer der führenden Experten für Künstliche Intelligenz, beschäftigt sich seit 30 Jahren mit dem Thema. Nach Stationen bei Google, Apple und Microsoft ist Lee nun als Investor aktiv. Seine Vision von der Entwicklung des globalen KI-Marktes.
Kai-Fu Lee sprach auf der Burda-Innovationskonferenz DLD über den Markt der Künstlichen Intelligenz.
1. Zur ökonomischen Bedeutung der Künstlichen Intelligenz
„KI wird größer als die Erfindung der Elektrizität. KI wird in jeder Industrie genutzt, senkt die Kosten, erhöht die Performance und disrupted Geschäftsmodelle. Aber KI wird sich viel schneller als die Elektrizität durchsetzen. Die Elektrizität hat Jahrzehnte gebraucht, bis das Netz gebaut war und die Anwendungen entwickelt wurden. KI läuft in der Cloud und ist heute für alle Unternehmen verfügbar.“
2. Zum globalen KI-Wettbewerb
„China hat beim Einsatz und der Monetarisierung von KI schon zu den USA aufgeholt. Noch liegen die Amerikaner vorne, wohingegen Europas Stärke in der Forschung liegt. China hat KI schneller als alle anderen produktiv eingesetzt und Werte geschaffen. Dafür gibt es einige fundamentale Gründe. Der wichtigste Grund ist die Menge an Daten. Daten sind der Treibstoff, damit KI funktioniert. China besitzt zehn Mal mehr als Daten als die USA oder Europa aufgrund der vielen Menschen, die mit ihren Smartphones ihr gesamtes digitales Leben organisieren. „Wenn der Satz „Daten sind das neue Öl“ gilt, dann ist China die neue OPEC“. Zudem hat China sehr starke Risikokapitalgeber und motivierte Gründer, die 100 Stunden in der Woche arbeiten und unermüdlich an der Optimierung ihrer Geschäfte arbeiten. Natürlich ist die staatliche Unterstützung auch wichtig, aber der Kern ist das funktionierende Ökosystem aus Risikokapitalgebern und Gründern.“
3. Chinas Weg zur KI-Marktführerschaft
„Die Vorstellung, China kopiere nur, profitiere vom Protektionismus und der Staatshilfe, trifft nicht mehr nur. China gehört heute zu den Innovatoren, die stetig neue Apps entwickeln, die viele Milliarden Dollar wert sind, von denen die Europäer oder Amerikaner noch nie gehört haben. Chinesische KI-Unternehmen müssen Wettbewerber nicht mehr fürchten. Ich habe als Risikokapitalgeber in etwa 45 KI-Firmen in China investiert, von denen 4 heute Unicorns sind, die zusammen 21 Milliarden Dollar wert sind.“
4. Der Arbeitsethos der Chinesen als Wettbewerbsvorteil
„Natürlich reisen unsere Entrepreneure ins Silicon Valley, um sich die Unternehmen dort anzuschauen. Ihre zweitwichtigste Erkenntnis: Wow, die Unternehmer dort sind innovativ. Die wichtigste Erkenntnis aber lautet: Oh, die Amerikaner arbeiten aber nicht sehr hart. Egal, welches US-Unternehmen sie besuchen – um 7 Uhr abends ist der Parkplatz leer, genau wie am Wochenende. In China ist das anders. Hier gibt es 996 und 997. Das bedeutet: Arbeit von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends, 6 Tage die Woche. Oder eben 7 Tage die Woche. Die Menschen haben die Wahl. Gewöhnlich verlieren die 996er gegen die 997er.“
5. Europas Stärken: Die KI-Forschung
„Im globalen KI-Wettbewerb werden China und die USA in den kommenden fünf Jahren ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. China liegt in der Gesichts- und Spracherkennung, maschinelle Übersetzungen und Drohnen vorne, während die USA bei autonomen Fahrzeugen und Business-KI führen. Europa, Japan und die USA sind in der Robotik tonangebend. Betrachtet man den Markt insgesamt, holen sich China und die USA sehr große Teile. Die chinesischen Unternehmen werden nun verstärkt ins Ausland expandieren. In fünf Jahren wird die eine Hälfte der Welt amerikanische KI-Software nutzen, die andere Hälfte chinesische Produkte. Ich glaube zwar nicht, dass diese Entwicklung notwendigerweise gut für die Nutzer ist, aber ich halte sie für wahrscheinlich.“
6. Das Ergebnis: Nur die Bronzemedaille für Europa
„Es gibt keine Bronzemedaille im KI-Wettbewerb. Wenn Gold- und Silber so wertvoll sind, dann ist die Bronzemedaille irrelevant. Was Europa aber tun kann, um sinnvolle Bronzemedaille oder vielleicht sogar die Hoffnung auf Silber zu bekommen: Die KI-Forschung in Europa ist sehr gut, aber Europa nutzt diesen Vorteil nicht, weil sehr viele Doktoranden inzwischen für amerikanische Unternehmen arbeiten. Das Ökosystem in Europa wird besser, aber der Rückstand gegenüber dem Silicon Valley oder China ist weiterhin gewaltig. Das ist ein großes Problem. Europa muss als ein großer Markt funktionieren, um wettbewerbsfähig zu werden.“
7. Einfluss der KI auf Arbeit
„In den kommenden 15 Jahren werden bis zu 40 Prozent der Jobs betroffen sein. In einigen Bereichen werden die Menschen 1:1 ersetzt, zum Beispiel Kundendienstler, Kassierer oder LKW-Fahrer. Daneben werden Industrien wie Banking disrupted. Wir leihen uns künftig Geld von Apps, nicht von Banken. Natürlich gibt es auch viele Bereiche, in denen Menschen überlegen sind und ihre Jobs behalten, zum Beispiel wenn sie über Fähigkeiten wie Kreativität, Strategie, Planung oder Entscheidung unter Unsicherheit verfügen. Auch Kommunikation zwischen Menschen ist sicher. KI wird natürlich auch viele neue Jobs schaffen, nur wissen wir heute noch nicht, welche es sein werden. Aber das war schon immer so. Eine massive Arbeitslosigkeit als Folge von Künstlicher Intelligenz erwarte ich nicht. Was aber passieren wird: Viele neue Jobs erfordern Qualifikationen, die heute vielfach nicht vorhanden sind. Training ist eine der Kernantworten, die wir geben müssen.“
Natürlich gab es auch Widerspruch zur These von Kai-Fu Lee, Europa sei nur abgeschlagener Dritter im globalen KI-Rennen. Der europäische Ansatz, Künstliche Intelligenz in industriellen Anwendungen, verbunden mit europäischem Datenschutz und Werten, wurde auf dem DLD ebenfalls hochgehalten. Aber auch die Protagonisten des europäischen Weges mussten anerkennen, dass 90 Prozent der Investitionen in KI in den USA oder China stattfinden. Hier die Videos dazu:
Foto: Hubert Burda Media / DLD