ChatGPT – wie ein sechs Jahre altes Wunderkind die Welt erobert

Noch ist die Künstliche Intelligenz nicht perfekt, aber dennoch werden Auswirkungen auf alles, was mit Information und Kommunikation zu tun hat, in Wirtschaft und Wissenschaft groß sein. Eine Vorschau auf die Dinge, die da kommen.

Der Hype um ChatGPT ist gewaltig – aber in vielen Fällen auch berechtigt, denn diese KI wird Anwendungen, die irgendwie mit Sprache zu tun haben, nachhaltig verändern. „ChatGPT ist eines der größten Dinge, das jemals für die Computer-Branche erfunden wurde“, sagt Jensen Huang, CEO des Chiphersteller NVIDIA. Und Bill Gates ergänzt: „Bislang konnte die KI zwar lesen und schreiben, aber die Inhalte nicht verstehen. Die neuen Programme wie ChatGPT werden viele Bürojobs effizienter machen, weil sie helfen, Rechnungen und Briefe zu schreiben. Das wird unsere Welt verändern“.

Wenn man bedenkt, dass die dahinter liegenden KI-Modelle erst seit 2017 das Internet durchlesen und die Inhalte zueinander in Beziehung setzen, dann ist die Leistungsfähigkeit dieser KI ziemlich beeindruckend. ChatGPT ist wie ein sechsjähriges Wunderkind, das gerade erstmals der Welt präsentiert wird. Natürlich muss man einem Sechsjährigen noch Fehler verzeihen. Aber er lernt schnell und wird diese Fehler mit sieben, acht oder neun Jahren wahrscheinlich nicht mehr machen.

Die Popularität von ChatGPT hat ihre Ursache in dem Ansatz, das KI-Modell nicht für ein spezielles Einsatzgebiet zu trainieren, sondern ihm faktisch das Internet als Lernlektüre zur Verfügung zu stellen. Unser Wunderkind wurde also in eine große Bibliothek gesetzt, die es von vorne bis hinten durchgelesen hat. Dieses Wissen nicht nur abzuspeichern, sondern zueinander in Beziehung zu setzen, um auch Fragen zu beantworten, die nicht explizit in den Büchern vorgekommen sind, ist die eigentliche Leistung der KI, deren Basis übrigens Googles Grundlagenforscher 2017 gelegt haben. Ganz ohne Menschen funktioniert aber auch dieses Modell nicht. Menschliche „Lehrer“ haben das neue Wissen überprüft und Lernfehler oder Schieflagen in den „Büchern“ korrigiert, was sich unser Wunderkind als guter Schüler gemerkt hat und in seinem weiteren Lernprozess berücksichtigt. (In der KI-Forschung wird deshalb von Supervised Learning gesprochen).

Unser digitales Wunderkind hat die schöne Eigenschaft, mit jedem Jahr schneller zu lernen, zumal es – mit den frischen 10 Milliarden Dollar von Microsoft – nun praktisch Zugang zum gesamten Wissen der Welt hat, noch viel mehr Lehrer einstellen kann und quasi unbegrenzte Computerpower zur Verfügung hat. Um im Bild zu bleiben: Seine Eltern Sam Altman und Mira Murati, CEO und CTO von OpenAI, haben ihrem Wunderkind gerade das wahrscheinlich teuerste und beste Stipendium aller Zeiten besorgt.

Allerdings ist damit auch die Schonfrist für ChatGPT abgelaufen. Unser Wunderkind soll sich sein Stipendium nun verdienen, indem es Fragen aus aller Welt beantwortet. Und auch der Geldgeber Microsoft will einen Gegenwert für seine Investition: ChatGPT soll als Superhirn dessen bislang erfolglose Suchmaschine Bing aufschlauen, um Marktführer Google anzugreifen – also das Unternehmen, das mit seiner Grundlagenforschung den Erfolg des Wunderkindes erst ermöglicht hat.

Digitale Assistenten werden Realität

Doch ChatGPT kann heute schon deutlich mehr als Schulaufsätze schreiben oder Texte zusammenfassen. Quasi überall, wo Menschen sprechen, schreiben, analysieren oder sich informieren, kann ChatGPT die Arbeit der Menschen zumindest erleichtern oder ganz automatisieren. Johannes Hoffart, Chief Technology Officer der AI Unit bei SAP, sieht gerade für Unternehmen großes Potenzial: „Was mich besonders begeistert: Große Sprachmodelle mit anderen Daten zu kombinieren, beispielsweise Datenbanken und Tabellen. So kann die Arbeit mit Geschäftsdaten im Arbeitsalltag vereinfacht werden und digitale Assistenten werden Realität.“

Volker Tresp, Professor für maschinelles Lernen an der LMU München, sieht ChatGPT als Meilenstein in der KI-Forschung, „Auch wenn die Systeme gelegentlich noch fehlerhafte Antworten geben oder Fragen nicht richtig verstehen – die technischen Erfolge, die hier erreicht wurden, sind phänomenal. Mit ihnen hat die KI-Forschung einen wesentlichen Meilenstein auf dem Weg zu einer echten Künstlichen Intelligenz erreicht“, sagt Tresp.  Die aktuellen Sprachmodelle seine wahre Gamechanger. „Sie werden in den nächsten Jahren den Umgang mit Information und Wissen in Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft wesentlich verändern.“

Für Service-Engineers könnte zum Beispiel ein Sprachmodell Tausende Fehlerberichte und Problemmeldungen vorangegangener Fälle analysieren. Ärztinnen und Ärzte kann es in Diagnose und Behandlung unterstützen. Die Sprachmodelle gehören zur Familie der sogenannten generativen Transformer-Modelle, die nicht nur Texte, sondern auch Bilder oder Videos erzeugen können. Transformer-Modelle erstellen Code, steuern Roboter und sagen molekularen Strukturen in der biomedizinischen Forschung voraus. Ähnlich wie bei Suchmaschinen werden sich die Use Cases lawinenartig vermehren.

ChatGPT löst Jobängste aus

Der Textroboter ChatGPT kann Software schreiben, Berichte formulieren, Briefe beantworten, Artikel zusammenfassen, Bilanzen analysieren, Texte übersetzen – und künftig noch mehr Dinge, auf die er trainiert wird. Die Qualität der Ergebnisse hat viel Phantasie bei den Arbeitgebern freigesetzt, wie die KI die Produktivität erhöhen könnte – und auf der anderen Seite Ängste bei den Arbeitnehmern um ihre Jobs ausgelöst.

Nach einer Sortlist-Umfrage unter 500 Arbeitgebern und Arbeitnehmern sehen die Arbeitgeber großes Potenzial beim Verfassen von Marketingtexten. 51 Prozent der befragten Arbeitgeber wollen dies auch tun – und entsprechend menschliche Arbeitskräfte in diesem Bereich sparen. Dem riesigen Interesse der Arbeitgeber stehen allerdings nur geringe Ängste der Arbeitnehmer gegenüber.

Große Sorgen machen sich die Beschäftigten in der IT-Branche: 23 Prozent der Beschäftigten in der Software- und Tech-Branche, dass sie aufgrund von ChatGPT ihren Arbeitsplatz verlieren könnten.  Vielleicht sollten sie das auch, denn 26 Prozent der Arbeitgeber in derselben Branche denken über einen Personalabbau als direkte Folge davon nach.

Für Beschäftigte im Bildungswesen gibt es keinen Grund zur Sorge. Zwar befürchten 31Prozent dieser Beschäftigten einen Stellenabbau, was angesichts der Beispiele aus dem Bildungssektor vielleicht verständlich ist. Doch sie sind fast doppelt so häufig wie ihre Arbeitgeber der Meinung, dass ChatGPT die Zahl der Beschäftigten reduzieren wird.

Der Finanzsektor ist die zweitgrößte Branche, in der Arbeitgeber ChatGPT als eine Möglichkeit zum Personalabbau sehen. Nur 14 Prozent der Angestellten im Finanzsektor befürchten, dass ChatGPT genutzt wird, um Personal in ihrem Unternehmen zu reduzieren. Allerdings betrachten 22 Prozent der Arbeitgeber im Finanzbereich dies als eine Option, wenn sie ChatGPT in ihrem Unternehmen einführen würden.▷ Sortlist

50 Prozent der Deutschen machen sich Sorgen wegen ChatGPT

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland ist von ChatGPT positiv beeindruckt und sieht großes Potenzial. Allerdings sorgen sich auch 50 Prozent über mögliche Auswirkungen auf ihren Arbeitsplatz und auch der Datenschutz wird wieder in Gefahr gesehen.

Die Erfahrung mit digitalen Technologien und die demographische Entwicklung lassen die Ängste der Arbeitnehmer allerdings weitgehend unbegründet erscheinen: Natürlich werden sich Jobs verändern und Tätigkeiten ersetzt werden. Aber dafür entstehen an anderen Stellen neue Aufgaben, so dass wie bei den Robotern und Computern in der Vergangenheit eher die Produktivität steigt als Arbeitslosigkeit entsteht.