Twitter lässt vor dem Börsengang zwei wichtige Fragen offen

Twitter hat das Risiko einer Absturzes nach dem Börsengang wie bei Facebook weitgehend entschärft. Doch zwei Fragen bleiben: 1. Wann macht Twitter Gewinn? Und 2. Wie robust ist die Wachstumsstory? Twitter hat aus den Fehlern von Mark Zuckerberg gelernt: Während Facebook im vergangenen Jahr 16 Milliarden Dollar am Aktienmarkt einsammelte, will Twitter sich mit einer […]

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Twitter hat das Risiko einer Absturzes nach dem Börsengang wie bei Facebook weitgehend entschärft. Doch zwei Fragen bleiben: 1. Wann macht Twitter Gewinn? Und 2. Wie robust ist die Wachstumsstory?

Twitter hat aus den Fehlern von Mark Zuckerberg gelernt: Während Facebook im vergangenen Jahr 16 Milliarden Dollar am Aktienmarkt einsammelte, will Twitter sich mit einer Milliarde Dollar begnügen. Schon diese Verknappung der angebotenen Aktien wird wohl für eine Überzeichnung sorgen und damit das Risiko fallender Kurse direkt nach dem IPO vermindern.

Twitter hat auch mit der zweiten Ursache für den Absturz der Facebook-Aktie, der damals fehlenden Erlösstrategie für das mobile Internet, kein Problem: 65 Prozent des Umsatzes wird auf mobilen Geräten erzielt und sogar 75 Prozent der Nutzung findet auf Smartphones oder Tablets statt. Und drittens könnte der Zeitpunkt kaum besser gewählt sein. Denn Internet-Aktien laufen in der ganzen Welt wie geschmiert. In den vergangenen sechs Monaten haben Yelp-Aktien 180 Prozent zugelegt, Xing um 101 Prozent, Facebook um 82 Prozent und Linkedin immerhin noch um 45 Prozent.

Dafür werden andere Fragen den Börsengang überschatten. Zum Beispiel: Wann fließen die Gewinne, die ein ähnlich hohes Umsatz-Multiple wie bei Facebook oder Linkedin rechtfertigen sollen? Denn Twitter bewertet sich keineswegs niedrig, auch wenn der offizielle Wert noch nicht feststeht. Aber zuletzt wurde die Aktie im August von Twitter selbst mit 20,62 Dollar eingestuft. Bei etwa 620 Millionen umlaufenden Aktien läge der Börsenwert bei etwa 12,8 Milliarden Dollar, hat Bloomberg errechnet.

Wenn der Umsatz in diesem Jahr etwa 600 Millionen Dollar erreichen sollte, beträgt die Bewertung also das 21-Fache des Umsatzes. Ein Umsatz-Multiple von 21 weist auch Linkedin auf, Facebook kommt auf einen Wert von 19. Twitter wäre nach dieser Rechnung also ähnlich hoch bewertet wie seine Konkurrenten, die zum Zeitpunkt des Börsengangs allerdings längst profitabel waren. Als ob das nicht genug wäre, werden für Twitter schon Bewertung von 15 oder 20 Milliarden Dollar genannt, was die Gefahr der Überbewertung steigen lässt.

Da die Verluste eine Folge aggressiver Investitionen in Rechenzentren und Personal waren, werden aber wohl viele Anleger darüber hinwegsehen – wenn die Wachstumsstory stimmt. Das Bild ist aber nicht eindeutig: Der Umsatz ist im vergangenen Jahr um 200 Prozent gestiegen und wird sich in diesem Jahr verdoppeln, wenn man die Halbjahreswerte fortschreibt.

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Twitter / SECDie Zahl der Twitterer in aller Welt steigt – aber im Vergleich zu Facebook nicht schnell genug.

Sorgen bereitet aber das Nutzerwachstum, denn statt der erwarteten 240 Millionen hat der Twitter-Börsenbericht zur Jahresmitte nur 218 Millionen Nutzer ausgewiesen. Seit dem vierten Quartal 2011 ist der jährliche Nutzerzuwachs von 117 auf zuletzt nur noch 44 Prozent gesunken. Zwar begründet Twitter das niedriger als erwartete Nutzerwachstum mit aussortierten Fake-Accounts, doch die Zweifel bleiben.

Denn für die werbetreibenden Unternehmen und die Börsianer ist der Vergleich mit Facebook wichtig. Das Zuckerberg-Netzwerk zeigt gerade mit einigen neuen Werbeformaten, dass die Suche nach dem „statistischen Zwilling“, der ähnliche Interessen hat, in der großen Masse seiner Nutzer gut funktioniert.

Zum Beispiel können Online-Shops jetzt die Datenbank ihrer Kunden hochladen und Facebook sucht die Nutzer, die den Kunden ähneln und daher mit recht hoher Wahrscheinlichkeit auf eine Anzeige des Shops reagieren. Diese Möglichkeiten für Performance-Marketing hat Twitter mit einem Sechstel der Nutzerbasis von Facebook nicht. Kann Facebook signifikante Größenvorteile erzielen, könnte Twitter im Wettbewerb um die Werbedollar das Nachsehen haben. Die Akquisition von MoPup für 350 Millionen Dollar soll Twitter die fehlende Reichweite bringen. Ob das gelingt, ist aber noch offen.

Unbeachtet bleibt dabei der deutliche Unterschied der Nutzerstruktur: „Facebook ist für die Masse, Twitter für die Elite“, titelte Business Insider treffend. Prominente, Politiker oder Medien geben den Ton auf Twitter an, sorgen für einen großen Teil der Kurznachrichten, die dann von interessierten Zuhörern, aber auch unzähligen automatisierten Bots weiterverbreitet werden. Wie viele der täglich 500 Millionen Tweets tatsächlich von Maschinen stammen, die auf keine noch so schöne Werbung reagieren, verrät Twitter nicht. (Oder noch schlimmer: Bots, die auf die Werbung reagieren, aber am Ende bestimmt nichts kaufen.)

Twitter ist als globaler Nachrichtenverteiler gesetzt und erfüllt wichtige Funktionen. Weder Facebook noch Google können Twitter diese Rolle noch streitig machen. Um seine Existenz muss Twitter nicht fürchten, da die Nutzer Twitter lieben. Ob die Werber es auch tun, muss das Unternehmen noch beweisen. Bis dahin sollte Twitter schon einmal über kostenpflichtige Pro-Accounts nachdenken. Die Zahlungsbereitschaft der Profi-Nutzer wäre hoch.

Nicht schaden könnte auch eine Erhöhung des Innovationstempos. Denn Twitter hat seit der Gründung keine wesentlichen neuen Funktionen entwickelt. Eine intelligente Filterung der Tweets wäre ebenso hilfreich wie die jetzt offenbar angedachte Nutzung der Direktnachrichten als Messenger-Dienst. Leider mussten aber erst WhatsApp, WeChat oder Line den Markt aufrollen, bevor Twitter auf die Idee kommt, innovativ zu werden.

Zur Zahl der Twitter-Nutzer in Deutschland hat sich das Unternehmen bisher nicht geäußert. Marktforschungsergebnisse geben einige Indizien. Eine Hochrechnung der ARD/ZDF-Onlinestudie 2013 kommt auf 3,9 Millionen Menschen, die den Dienst zumindest gelegentlich nutzen, egal ob als Schreiber/Leser oder nur als Leser. Allerdings ist der Anteil der regelmäßigen Nutzer eher gering: 1,26 Millionen Menschen nutzen Twitter mindestens einmal in der Woche, hat die Studie ergeben. Das sind 42 Prozent mehr als im Vorjahr. Nur 1,17 Millionen Menschen twittern aktiv, was einen Zuwachs von 43 Prozent bedeutet. Offenbar ist der Großteil der neu hinzugekommenden Menschen passiv, liest also nur, denn der Anteil der aktiven Nutzer ist seit dem Vorjahr von 40 auf 30 Prozent gefallen, haben ARD und ZDF herausgefunden.

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