Die Meinungsbildung verschiebt sich immer schneller ins Internet
Die gedruckten Zeitungen verlieren in allen Bevölkerungsgruppen rasant an Bedeutung als Informationsmedium. Dagegen halten sich Fernsehen und Radio noch einigermaßen gut. Auch die Meinungsbildung findet immer stärker im Netz statt – was gefährlich werden kann, wie die US-Präsidentenwahl gezeigt hat.
Die gedruckten Zeitungen sind die großen Verlierer des Medienwandels: Seit 2005 ist der Anteil der Menschen in Deutschland, die sich in einer Zeitung über das aktuelle Geschehen informiert haben, von 51 auf 35 Prozent gefallen. Dieser Bedeutungsverlust hat sich in dieser Dekade in absoluten Zahlen sogar beschleunigt, vor allem unter jungen Menschen: Sank der Anteil der Menschen, die gedruckte Zeitungen als ihre wichtigsten Informationsquellen bezeichneten, zwischen 2005 und 2009 nur um 2,7 Prozent im Jahr, hat sich dieser Wert seit 2010 auf durchschnittlich 4,7 Prozent im Jahr erhöht, zeigen Zahlen, die das Institut für Demoskopie Allensbach in seiner Computer- und Technikanalyse erhebt und mir freundlicherweise jedes Jahr zur Verfügung stellt. Dafür wurden 7000 Menschen in Deutschland repräsentativ befragt, ob sie sich am Vortag im Fernsehen, in der Zeitung, im Internet oder im Radio über das aktuellen Geschehen informiert haben. Das Internet hat wenig überraschend die größten Zuwächse in diesem Zeitraum erreicht, während Fernsehen und Radio nur leicht an Bedeutung als Informationsmedium eingebüßt haben.
Wichtig ist dabei zu beachten: Der Wechsel von der Zeitung ins Internet kann auch bedeuten, dass die Menschen statt der gedruckten Zeitung das Angebot des Mediums im Internet nutzen. Dann bleibt die Reichweite des Mediums gleich, aber der große Unterschied ist im Geschäftsbericht zu finden. Da die große Mehrheit der Leser die werbefinanzierten Angebote der Zeitungen nutzt, die aber je Leser nur einen Bruchteil des Umsatzes einer gedruckten Zeitung bringen, sind in den vergangenen zehn Jahren etwa eine Milliarde Euro Umsatz in der Zeitungsbranche in Deutschland verloren gegangen, zeigen Zahlen des German Entertainment und Media Outlook von PWC. Der Zuwachs der Online-Werbung kann den Verlust der Printwerbung nicht annähernd kompensieren. Da der Löwenanteil des Wachstums der digitalen Werbung in die Taschen von Google und Facebook fließt, wird sich an dieser Situation auch so bald nichts ändern, weshalb die meisten Verlage ihre Geschäftsmodelle wieder zurück Richtung Print, auf Paid Content oder auf Content-Marketing ausrichten. Neue werbefinanzierte Digitalmodelle sind in Deutschland kaum noch zu beobachten.
Hier nun die ACTA-Ergebnisse, die drei Fragen beantworten:
- Wo haben sich die Menschen über das aktuelle Geschehen informiert?
- Welche Medien sind den Menschen wichtig?
- In welchem Medium bilden sich Meinungen?
1. Wo haben sich die Menschen informiert?
Der Anteil der Menschen, die Nachrichten am Vortag in der Zeitung gelesen haben, fällt im Durchschnitt der Bevölkerung um 3,5 Prozent im Jahr. Dramatisch ist der Rückgang in der Gruppe der 14- 19-Jährigen, da sich hier durchschnittlich 9,2 Prozent im Jahr von der Zeitung verabschieden. Inzwischen informieren sich nur noch 6,3 Prozent dieser Altersgruppe in einer Tageszeitung, während es bei den Menschen über 50 Jahre noch 51,4 Prozent sind. Im Jahr 2004 betrug dieser Wert allerdings 71 Prozent.
Der Anteil der Menschen, der sich im Internet informiert, ist in diesem Jahr in allen Altersgruppen noch einmal deutlich gestiegen. Besonders hoch ist der Wert unter den Akademikern. Die Frage, wo im Netz sich die Menschen ihre Informationen besorgen, beantwortet eine andere Umfrage von TNS Infratest. Danach liegen die Websites der klassischen Zeitungen in der Gesamtbevölkerung knapp in Führung. Aber junge Menschen zwischen 14 und 29 Jahren holen sich die Infos bevorzugt bei Facebook und Youtube, was auch hier die Fragen nach Filterblasen, dem Einfluss von Social Bots und Fake-News aufwerfen wird. Die Diskussion nach den US-Wahlen werden wir wohl bald auch hier verstärkt führen müssen, zumal offenbar auch seriöse Nachrichtenseiten viele Fake-News in Form von Werbung verbreitet haben.
Fernsehen und Radio zeigen nur leicht sinkende Werte in der Gesamtbevölkerung, die allerdings bei jungen Menschen auf deutlich niedrigerem Niveau liegen und zudem kräftiger zurückgehen.
2. Welche Medien sind den Menschen besonders wichtig?
Die Frage nach der Wichtigkeit soll das subjektive Empfinden der Menschen erfassen. Danach gehört das Fernsehen für 68 Prozent der Erwachsenen in Deutschland zwischen 14 und 64 Jahren zu ihren wichtigsten Nachrichtenmedien, was einen Rückgang von 1,3 Prozent im Jahr entspricht. Das Internet erreicht einen Wert von 50 Prozent, gefolgt von den Zeitungen mit 36 Prozent und dem Radio mit 34 Prozent. Auffallend im Zeitablauf ist auch hier der beschleunigte Verfall der Werte für Zeitungen seit 2010, während Fernsehen und Radio geringere und gleichbleibende Rückgänge aufweisen.
Brisant für die Zeitungen ist wieder die Entwicklung unter den Jugendlichen. Bezeichneten im Jahr 2004 noch 28 Prozent dieser Gruppe die Zeitung als einer ihrer wichtigsten Informationsquellen, sind es nun nur noch 9,6 Prozent. Auch Radio und Fernsehen verlieren in dieser Gruppe ziemlich deutlich; allerdings beschleunigen sich ihre Werte nicht.
Ein ähnliches Bild ergab die Umfrage unter jungen Akademikern zwischen 20 und 39 Jahren: Sie bezeichnen das Internet als ihre wichtigste Informationsquelle, während die Zeitungen jedes Jahr an Bedeutung für sie verlieren. Stabil hält sich das Radio.
3. In welchem Medium bilden sich Meinungen?
Die Bedeutung der Medien für die Meinungsbildung als normierten Mittelwert zwischen Nutzung und Wichtigkeit zeigt die erwartete Verschiebung Richtung Internet, auch wenn das Fernsehen in der Gesamtbevölkerung noch den höchsten Wert mit 36,7 Prozent aufweist. Das Internet hat inzwischen den zweiten Platz erreicht. Unter den Jugendlichen und den jungen Akademikern ist das Netz längst das meinungsbildende Medium, gefolgt vom Fernsehen. Gedruckte Zeitungen haben nur noch einen Anteil von 6,8 Prozent an der Meinungsbildung dieser Gruppe.
Insgesamt beschleunigt sich also die Verschiebung der Meinungsbildung von den klassischen Medien ins Netz und dort – vor allem bei jungen Menschen – auf die großen Plattformen, bevorzugt Facebook. Die US-Wahlen haben aber gezeigt, dass Populismus und das „Post-Faktische“ auf diesem Weg enorm an Bedeutung gewinnen können. Die alte Lehre, dass Menschen Informationen im Social Web nur dann teilen, wenn sie diese Information für objektiv richtig halten, gilt in Wahlkämpfen offenbar nicht mehr. Wenn Fake-Quellen wie der „Denver Guardian“ in kürzester Zeit als Nachrichtenquelle an Bedeutung gewinnen und sogar eine Präsidentenwahl beeinflussen, haben wir ein Problem. Ob Mark Zuckerberg es allein lösen kann und sollte, wird von nun an Gegenstand vieler Diskussionen sein – genauso wie die Frage, ob wir für guten Journalismus noch zahlen wollen. Denn allein mit Online-Werbung wird sich Journalismus nicht finanzieren lassen.