Digitaler Jobmonitor: Zweite Welle der Digitalisierung erreicht den Arbeitsmarkt
Nachdem in der ersten Halbzeit der Digitalisierung vor allem Experten für E-Commerce und Online-Marketing gesucht wurden, liegen die höchsten Wachstumsraten nun in offenen Positionen für künstliche Intelligentz, Fintech und E-Health.
Digitalisierung auf dem Arbeitsmarkt wird in Deutschland gerne als Gefahr für Routinejobs diskutiert. Doch die digitale Transformation der Wirtschaft schafft auch viele neue Stellen: Im ersten Quartal waren in Deutschland rund 10000 Stellen für Digitalexperten ausgeschrieben, zeigt der Digitale Jobmonitor, den ich zusammen mit der Berliner Index-Gruppe für das Handelsblatt entwickelt habe. Die meisten offenen Positionen entfallen zwar noch auf die klassischen Disziplinen Online-Marketing und E-Commerce. Das größte Wachstum weisen jedoch die Positionen für Fachleute auf, die sich mit der Digitalisierung der Banken (Fintech) und der Gesundheitsbranche (E-Health) oder modernen Technologien wie künstlicher Intelligenz, Virtual Reality oder 3D-Druck auskennen. Diese Qualifikationen werden für die jetzt beginnende zweite Welle der Digitalisierung benötigt, die sich nicht mehr auf einzelne Bereiche wie Marketing oder Vertrieb beschränkt, sondern ganze Unternehmen erfasst. „Für diese digitale Transformation brauchen die Firmen geeignetes Personal, das auf dem Markt lange nicht in der nachgefragten Menge verfügbar ist“, beobachtet Fabian Kienbaum vom Personalberater Kienbaum Consulting. Im Vergleich zum Vorjahr weisen die Stellenausschreibungen in diesen Trendthemen Wachstumsraten von 100 Prozent und mehr aus.
Für Unternehmen in Deutschland wird es immer schwieriger, die benötigten Spezialisten zu finden. „Der Fachkräftemangel im Bereich der Digitalisierung ist bereits deutlich spürbar“, erläutert Jürgen Grenz, Geschäftsführer der Berliner Index-Gruppe. Dabei stecken die großen Transformationsprojekte der deutschen Wirtschaft noch in den Anfängen: „Den größten Bedarf sehen wir zukünftig im Bereich Internet der Dinge und damit einhergehend die Vernetzung aller Teile der Wertschöpfungskette. Hier entstehen große Datenmengen, wofür zum Beispiel Data Scientists in großer Zahl benötigt werden“, erwartet Dwight Cribb, der sich als Headhunter schon lange auf die Digitalbranche spezialisiert hat.
Der Wettbewerb um die digitalen Talente wird hitziger, da traditionelle Unternehmen mit aufstrebenden Digitalfirmen wie Zalando und den US-Internetkonzernen konkurrieren. Die locken in Europa immer mehr Ingenieure und Informatiker an, seitdem die Gehälter im Silicon Valley explodiert sind. Die Google-Mutter Alphabet betreibt inzwischen große Forschungslabors in München, Zürich und London. Da Alphabet außerdem gut zahlt, führt das Unternehmen die Rangliste der Top-10-Arbeitgeber deutscher Ingenieure mit großem Vorsprung an. Auch Microsoft, Apple, Blizzard Entertainment und Amazon stehen in der Gunst der deutschen Ingenieure weit oben.
Experten für künstliche Intelligenz heiß begehrt
Noch auf geringem Niveau, aber mit hohen Zuwächsen liegt die Nachfrage nach Spezialisten für Technologien wie künstliche Intelligenz, Virtual-/Augmented Reality und den 3D-Druck. „Für alle erdenklichen Jobs rund um künstliche Intelligenz und Machine Learning suchen wir schon heute gut ausgebildete Fachkräfte. Das bestehende Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wird sich – in Anbetracht des rasant wachsenden Digital Commerce – noch verschärfen“, erwartet Sabine Josch, Personaldirektorin der Hamburger Otto-Gruppe. Die Deutsche Telekom sieht die größte Lücke bei Spezialisten für die Cyber-Sicherheit. Elke Frank, Senior Vice Präsidentin Personalentwicklung bei der Telekom: „Die Nachfrage nach Fachkräften ist deutlich höher als das Angebot. Übrigens nicht nur in Deutschland: Experten schätzen, dass es weltweit bis 2021 rund 3,5 Millionen unbesetzte Stellen in diesem Bereich geben wird.“
Digitalisierung erfasst Maschinenbau, Automobil und Logistik
Nachdem in der ersten Welle vor allem Unternehmen aus dem Handel, der Telekommunikation und den Medien erfasst wurden, stehen nun die deutschen Kernbranchen wie Automobil, Maschinenbau, Elektrotechnik, Banken und Logistik zur Digitalisierung an. Für Anna Maria Karl, Leiterin Global Talent Sourcing des Autoherstellers Daimler, sind Software-Entwicklung, künstliche Intelligenz und Kybernetik besonders gesuchte Qualifikationen. Beim Technologiekonzern Bosch, der in diesem Jahr 20000 Menschen weltweit einstellen wird, hat jede zweite ausgeschriebene Stelle einen Bezug zu Software. „Die Vernetzung über das Internet der Dinge verändert das Geschäft von Bosch und damit unseren Personalbedarf stärker als je zuvor,“ schätzt Bosch-Personalchef Christoph Kübel.
Digitalexperten können sich die Standorte aussuchen
Die begehrten Digitalkräfte können sich aussuchen, in welchen Städten sie arbeiten wollen. Die Verteilung der Stellenausschreibungen auf die Bundesländer zeigt daher die typische Rangliste nach der Wirtschaftskraft: Bayern führt knapp vor Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hessen. Berlin als Deutschlands Digitalhauptstadt liegt auf einem starken fünften Platz, nur knapp hinter Hessen und deutlich vor Hamburg und Niedersachsen. Der digitale Graben in Deutschland beginnt mit Rheinland-Pfalz und Sachsen und endet in Mecklenburg-Vorpommern. Hier werden kaum noch Digitalkräfte gesucht. Die Agglomerationsvorteile, die in der digitalen Ökonomie stark ausgeprägt sind, lassen sich auch mit Förderprogrammen kaum auszuhebeln. Ohne bessere Breitband-Versorgung in ländlichen Regionen wird der Graben wohl noch tiefer.