Nachfrage nach Experten für Künstliche Intelligenz schnellt hoch

Um 170 Prozent ist die Nachfrage nach Fachleuten für künstliche Intelligenz und Machine Learning im zweiten Quartal gestiegen. Viele KI-Projekte werden im Moment nicht umgesetzt, da die nötigen Fachkräfte fehlen. Deutschlands KI-Experten werden inzwischen mit viel Geld aus Ausland abgeworben.

Künstliche Intelligenz (KI) zählt zu den Top-Innovationsthemen in deutschen Unternehmen und hat sich zu einem Hotspot auf dem Hightech-Arbeitsmarkt entwickelt: Im zweiten Quartal ist die Zahl der ausgeschriebenen Stellen für KI-Experten um 170 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen, zeigt der Digitale Job-Monitor. „Der Bedarf wächst täglich, weil KI die Schlüsseltechnologie für die zweite Digitalisierungswelle ist. Besonders in der Automobilindustrie, dem Anlagenbau und der Finanzindustrie ist der Bedarf derzeit nicht zu decken und es gibt weltweit einen brutalen Wettbewerb um die besten Köpfe“, sagt Wolfgang Wahlster, Chef des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken.

Nachdem sich Unternehmen in der ersten Phase der Digitalisierung meist auf ihren Kundenkontakt mit Online-Marketing und E-Commerce konzentriert haben, stehen nun komplette Geschäftsmodelle und Produktionsprozesse zum Umbau an. Künstliche Intelligenz spielt in dieser Transformation eine zentrale Rolle. „Künstliche Intelligenz – vor allem Machine Learning – ist die wichtigste Basistechnologie unserer Zeit“, sagen die MIT-Professoren Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee. Als Basistechnologien bezeichnen Ökonomen die radikalen Innovationen, die wirtschaftliche Strukturen und damit die Entwicklungsrichtung ganzer Branchen grundlegend ändern. Damit stellen die MIT-Forscher die künstliche Intelligenz auf eine Stufe mit der Erfindung der Dampfmaschine oder der Eisenbahn.

„Kein Bosch-Produkt ohne künstliche Intelligenz“

Denn selbstfahrende Autos sind ohne künstliche Intelligenz ebenso wenig vorstellbar wie kommunizierende Roboter oder eine vernetzte Logistik. „In zehn Jahren wird kaum ein Bosch-Produkt ohne Künstliche Intelligenz denkbar sein. Entweder verfügt es selbst darüber, oder Künstliche Intelligenz hat bei der Entwicklung oder Herstellung des Produkts eine wesentliche Rolle gespielt“ erwartet Bosch-Chef Volkmar Denner.

Die Autoindustrie hat aktuell den größten Bedarf an diesen raren Experten. Doch ihre Kenntnisse werden überall gebraucht: In Banken für die Entwicklung von Robo-Advisorn, in Kaufhäusern für die Vorhersage der Kundenwünsche, an Flughäfen für die Gesichtserkennung und generell für Produktempfehlungen, Kundenbindung oder Datenanalyse.

„Mangel an Experten behindert KI“

Oft konzentrieren sich die Unternehmen derzeit auf komplexe KI-Projekte und vernachlässigen die einfachen Vorhaben, die viel schneller Rendite bringen, zeigt eine aktuelle Umfrage der Berater von Cap Gemini. „Vieles heute in der KI ist noch Kunst und Manufaktur statt Ingenieurmäßige industrielle Praxis. Das wird sich ändern“, erwartet auch Stefan Wess vom KI-Spezialisten Empolis aus Kaiserslautern.

In vielen Unternehmen sei außerhalb der IT-Abteilung aber noch nicht genügend Sachverstand vorhanden, um die Technologie mit Gewinn einzusetzen. „Fehlende Experten sind im Moment der wichtigste Grund, warum viele KI-Projekte in Unternehmen unterbleiben“, sagt Peter Buxmann, Professor für Wirtschaftsinformatik und Experte für Künstliche Intelligenz an der TU Darmstadt. Aber man müsse hier unterscheiden im Markt: „Die Nachfrage nach Machine Learning Engineers wird steigen, während ich bei der Nachfrage für Data Scientists eher einen ruhigeren Verlauf erwarte, da mehr Fachkräfte am Markt sind, als man vielleicht noch vor wenigen Jahren erwartete“, sagt Uwe Weiss von Blue Yonder.

Die großen Effekte erst in der nächsten Dekade

Noch stehen die meisten Unternehmen ganz am Anfang und testen erst einmal, was KI überhaupt kann. In einer McKinsey-Studie gaben nur 9 Prozent der befragten Firmen an, maschinelles Lernen schon in großem Umfang einzusetzen. Und lediglich 12 Prozent sehen sich schon über ein Experimentierstadium hinausgekommen. Die großen Effekte, erwarten auch die MIT-Forscher Brynjolfsson und McAfee, werden wohl erst in der kommenden Dekade richtig spürbar, wenn Industrieproduktion, Handel, Transport, Finanzen, Gesundheit, Recht, Werbung, Versicherung, Unterhaltung, Bildung und wahrscheinlich jede andere Industrie ihre Geschäftsprozesse ändern, um die Vorteile des maschinellen Lernens zu nutzen. Der Flaschenhals liege nicht mehr in der Technologie, sondern in der Vorstellungskraft der Führungskräfte und der Implementierung.

Dabei sind deutsche Spezialisten und auch die Absolventen der deutschen Universitäten weltweit anerkannt. Das haben allerdings auch die Digitalkonzerne aus dem Silicon Valley und aus China erkannt. Sie rekrutieren gerne auf dem deutschen Arbeitsmarkt. „Die Konkurrenz aus dem Ausland hat seit einem Jahr spürbar zugenommen und bereitet mir große Sorge. Am DFKI sind uns gerade wieder mehrere Spitzenkräfte zum vierfachen Gehalt aus Peking abgeworben worden“, klagt Wahlster. Alleine Lenovo gebe für das neue KI-Labor in Peking 330 Millionen Euro im Jahr aus. Deutsche Unternehmen investieren weit weniger.

Besonders begehrt: Mathematiker, die in Machine Learnung promoviert haben

Der größte Bedarf liegt derzeit im Segment des maschinellen Lernens. Dabei wird – vereinfacht gesagt – den Computern beigebracht, Daten selbständig zu analysieren, um darin Muster oder Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, um beim nächsten Mal eigenständig handeln zu können. „Wir suchen vorwiegend Mathematiker, die in Machine Learning promoviert und geforscht haben“, sagt Christoph Peylo, der Leiter des Bosch Center for Artificial Intelligence, in dem zurzeit etwa 100 KI-Spezialisten arbeiten. Diese Zahl soll in den kommenden Jahren vervielfacht werden.

Neben Machine Learning sind auch KI-Spezialisten für Sprachdialogsysteme und Bildverstehen gefragt. „Kenntnisse in einem Fachgebiet wie Medizin oder Maschinenbau sind aber Voraussetzung für gute Ergebnisse. Trotz KI geht es (noch) nicht ohne menschliche Lehrer – und die sollten etwas von dem verstehen, was sie unterrichten“, erklärt Empolis-Gründer Wess. Zusätzlich ein Verständnis für digitale Geschäftsmodelle machen den perfekten Bewerber aus, meint Wissenschaftler Buxmann.

Künstliche Intelligenz nicht nur für Superhirne

Doch künstliche Intelligenz ist nicht zwingend nur den Superhirnen vorbehalten. Einige Unternehmen wie Alphabet haben ihre KI-Software zur freien Verfügung ins Netz gestellt und damit die intellektuelle Hauptarbeit schon erledigt. Die Maschine anschließend mit Daten zu füttern und aus den Ergebnisse die richtigen Schlüsse zu ziehen, ist zwar auch nicht trivial, aber weniger anspruchsvoll. Arbeitskräfte mit diesen Fähigkeiten drängen nun vermehrt auf den Markt. Oft kommen sie aus anderen IT-Disziplinen zurück. „Viele Jahre wurden in Deutschland KI-Experten ausgebildet, die nach längerer Zeit in anderen IT-Jobs jetzt wieder zu ihrem ursprünglichen Fachgebiet zurückfinden“, hat Wess beobachten. Doch die Rückkehr vieler gut ausgebildeter Fachkräfte kann die weitere Öffnung der Schere zwischen Angebot und Nachfrage nicht verhindern. Vor allem der Wettbewerb um die Spitzenkräfte bleibt heiß: „Ein richtiger Experte, der KI nicht nur anwendet, sondern wirklich etwas Neues schaffen kann, ist ein echter Glücksfall, um den man kämpfen muss“, sagt Chris Boos vom Frankfurter KI-Pionier Arago, der Arbeitsprozesse in Unternehmen automatisiert. Für Boos führt kein Weg daran vorbei, kräftig in Weiterbildung zu investieren, um die gewünschten Fähigkeiten zu bekommen. „Diese Mitarbeiter sind und bleiben der Flaschenhals für wirklich jedes High-End KI-Team“, erwartet Boos. Diese Experten legten ihre Gehälter schon seit vielen Jahren selbst fest. Sie seien gut bezahlte, aber nicht maßlos, weil es ihnen mehr auf Wirkung und Freiheit ankomme. „Die Arbeitskräfte, die Technologie nur anwenden, profitieren gerade von stark steigenden Gehälter und sind viel stärker an Geld interessiert. Gerade in größeren Firmen können auf diese Weise instabile Teams entstehen“, warnt Boos.

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Der Artikel wurde zuerst im Handelsblatt veröffentlicht.
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