„ChatGPT wird viele aktuelle Jobs eliminieren – aber viel bessere erzeugen“
ChatGPT hat das Potenzial, eine neue Basistechnologie zu werden – mit weitreichenden Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft. Je mehr die KI kann, desto mehr Tätigkeiten der Menschen können ersetzt werden – oder verbessert. Das hängt nun ganz von der Lernbereitschaft der Menschen ab.
Wer ausprobiert hat, wie gut ChatGPT auf Basis der neuen Version GPT-4 inzwischen Texte schreibt, Fragen beantwortet, Daten analysiert, Mathematikaufgaben löst, Steuern berechnet oder Software schreibt und wie schnell sich die Technik weiterentwickelt, ahnt vielleicht, wie stark sich diese Technologie auf unsere Tätigkeiten auswirken wird. Sam Altman, der Gründer von OpenAI, ist sich der disruptiven Kraft bewusst. „ChatGPT wird viele aktuelle Jobs eliminieren – aber viel bessere kreieren“, sagte Altman in einem abc-Interview.
Nachdem in der Vergangenheit vor allem die Produktion von Gütern automatisiert wurde, werden nun die Dienstleister disrupted. Naheliegend betroffen sind Texter, Übersetzer, Fotografen und Programmierer. Aber auch Buchhalter, Steuerberater, Finanzanalysten, Journalisten oder Anwälte stehen auf der Liste der Berufe, die nun digitale Konkurrenz bekommen.
Eine aktuelle empirische Studie der Universität Pennsylvania mit OpenAI-Research zeigt, dass die GPT-Modelle sogar die Kraft einer Basistechnologie entfalten können, die ähnlich wie Elektrizität weitreichende ökonomische, soziale und politische Auswirkungen haben kann. Bei etwa 80 Prozent der US-Arbeitskräfte sind mindestens 10 Prozent ihrer Arbeitsaufgaben von den GPT-Modellen betroffen. Bei 19 Prozent der Arbeitnehmer sind sogar mindestens 50 Prozent ihrer Tätigkeiten ersetzbar. Der Einfluss erstreckt sich über alle Lohnstufen, wobei der Einfluss auf Arbeitsplätze mit höherem Einkommen potenziell höher ist.
Stanford-Forscher Erik Brynjolfsson hat diese Entwicklung in seinem Bestseller „Second Machine Age“ schon 2014 vorausgesagt – aber das Tempo überrascht auch ihn: „Wir waren weder optimistisch genug in Bezug auf die Technologie noch pessimistisch genug in Bezug auf unsere Institutionen und Fähigkeiten.“ Das Spektrum der betroffenen Berufe sei viel breiter als angenommen. Seine Botschaft: Die Menschen müssen aufpassen, nicht von den Maschinen abgehängt zu werden. Und sie müssen beginnen, diese Maschinen für ihre Zwecke zu nutzen. (Siehe dazu mein Interview mit Brynjolffson: „Wir stehen vor einer Phase großer Disruptionen“)
Die wachsende KI-Kenntnislücke
„KI ist nicht länger eine Laborkuriosität oder etwas, das man in Science-Fiction-Filmen sieht“, sagt Brynjolfsson. „Aber Regierungen und andere Organisationen haben mit den Entwicklungen nicht Schritt gehalten – und unsere Fähigkeiten auch nicht. Die Kluft zwischen unseren Fähigkeiten und dem, was die Technologie ermöglicht und erfordert, hat sich vergrößert. Ich denke, dass in dieser Kluft die meisten der großen Herausforderungen – und Chancen – für die Gesellschaft im nächsten Jahrzehnt liegen werden.“
Mehr Berufe betroffen als gedacht
Brynjolfsson räumt ein, dass das Spektrum der betroffenen Berufe „viel breiter ist als früher angenommen. Es wird Gewinner und Verlierer geben. In vielen Fällen werden Arbeitsplätze aufgewertet werden, aber einige werden auch wegfallen. Routinearbeiten werden zunehmend automatisiert werden – und es wird auch eine Blüte fantastischer Kreativität geben. Wenn wir diese Instrumente richtig einsetzen, wird es zu positiven Veränderungen kommen. Wenn wir das nicht tun, könnte sich die Ungleichheit verschärfen, was zu einer weiteren Konzentration von Reichtum und politischer Macht führen würde.
Wie man KI am Arbeitsplatz einsetzt
Zunächst müssen sie das vermeiden, was Brynjolfsson als Turing-Falle bezeichnet hat. „Eines der größten Missverständnisse über KI – übrigens vor allem unter KI-Forschern – ist, dass sie alles tun muss, was Menschen tun, und sie ersetzen muss, um effektiv zu sein“, erklärt er und argumentiert, dass der berühmte Test für maschinelle Intelligenz, der 1950 von Alan Turing vorgeschlagen wurde, „eine inspirierende, aber fehlgeleitete Vision“ ist.
Brynjolfsson ist der Ansicht, dass ein Umdenken auf allen Ebenen – von Wissenschaftlern und politischen Entscheidungsträgern bis hin zu Arbeitgebern und Arbeitnehmern – erforderlich ist, um die Möglichkeiten der KI für eine positive Gestaltung der Gesellschaft nutzbar zu machen. „Wir sollten uns fragen: ‚Wozu brauchen wir diese mächtigen Werkzeuge? Und wie können wir sie einsetzen, um unsere Ziele zu erreichen?‘ Nicht die Werkzeuge entscheiden, sondern wir.“
Die Jobs, die ChatGPT verändert
Fragt man ChatGPT (GPT-4) nach den Tätigkeiten, die besonders schnell verändert werden, erscheint die folgende Liste, die sich einige Tätigkeiten zusammenfassen lässt:
- Texte produzieren (Texter, Übersetzer, Journalisten),
- Zahlen analysieren (Forscher, Finanzanalysten, Wissenschaftler),
- Zahlen bearbeiten (Buchhalter, Versicherungsvertreter, Steuerberater, Marktforscher)
- Fragen beantworten (Kundensupport, Sekretäre, Kundenbetreuer)
- Dokumente analysieren (Anwälte) und
- Designen und konstruieren (Architekten)
In einer aktuellen Untersuchung haben Wissenschaftler um Ed Felton (Princeton) jetzt den Einfluss der Sprachmodelle auf Jobs und Branchen berechnet. Sie haben dafür auf das „KI-Berufs-Exposure“ (AIOE) zurückgegriffen und um die Fortschritte in den Sprachmodellen ergänzt. „Exposure“ bedeutet aber nicht automatisch eine Substitution der Arbeit, sondern kann auch eine Bereicherung oder Unterstützung sein. Auf jeden Fall löst die KI aber Änderungen in den Berufen oder Branchen aus.
Die Liste der Berufe mit hoher KI-Betroffenheit inklusive der Sprachmodelle weist deutlich mehr lehrende Berufe auf. Lehrer und Professoren müssen sich Gedanken machen, wie sie ChatGPT in ihre Lehre integrieren oder wie Hausarbeiten künftig geschrieben und bewertet werden. Ganz oben auf der Liste steht aber der Telemarketer, der Kundenanfragen künftig ergänzend in Echtzeit von der KI beantworten lassen kann – oder aber ganz von ihr ersetzt wird.
Die Liste der Branchen mit hohem KI-Exposure mit ChatGPT wird vom Rechtsbereich angeführt, gefolgt von der Finanzbranche (Wertpapiere, Finanzanlagen, Brokerage, Versicherungen und Kreditvermittlung). Insgesamt hat sich die Zusammensetzung der Branchenliste kaum geändert, sondern lediglich die Reihenfolge.