Ab 2035 kein Job mehr ohne KI

ChatGPT und generative KI werden als die Dampfmaschine des Informationszeitalters die Strukturen der Wirtschaft grundlegend ändern – und damit eine sehr deutlich spürbare Verschiebung auf dem Arbeitsmarkt bringen.

„Ab 2035 wird es keinen Job mehr geben, der nichts mit Künstlicher Intelligenz zu tun hat“, sagt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. KI werde zur kritischen Ressource auf dem Arbeitsmarkt. Recht hat er. Schon im ersten Quartal ist die Nachfrage nach KI-Fachleuten sprunghaft gestiegen, da mit ChatGPT die Einsatzfelder spürbar gewachsen sind. Der Effekt ist aber auch in die andere Richtung spürbar: IBM-CEO Arvind Krishna geht von einem Einstellungsstopp für Positionen in der Verwaltung aus, deren Tätigkeiten in den kommenden Jahren von der KI erledigt werden könnten. „Ich könnte mir gut vorstellen, dass in einem Zeitraum von fünf Jahren 30 Prozent der Jobs durch KI und Automatisierung ersetzt werden“. IBM ist kein Einzelfall: Weltweit arbeiten Unternehmen daran, ihre Produktivität mit dieser KI hochzutreiben. Die Künstliche Intelligenz als die neue Dampfmaschine der Informationsgesellschaft wird die Strukturen der Wirtschaft grundlegend ändern.

Technischer Fortschritt schneller als Lernbereitschaft der Menschen

Da der technische Fortschritt schneller ist als die Lernbereitschaft der Menschen, nimmt die Zahl der Tätigkeiten, die substituierbar sind, von Jahr zu Jahr zu. Die Berechnung des IAB zeigt die Entwicklung von 2013 bis 2019 und dürfte sich mit den Fortschritten in der generativen KI noch einmal deutlich beschleunigen, da sehr viele kognitive Tätigkeiten wie die Tätigkeiten der Anwälte, Steuerberater oder Finanzanalysten jetzt von Maschinen erledigt werden können.

Angesichts der Dynamik des technischen Fortschritts ist nun eine höhere Lernbereitschaft nötig, damit die Menschen nicht abgehängt werden. Nach Angaben einer Lernplattform ist das Prompten, also die Eingabe der ChatGPT-Befehle, aktuell die am stärksten nachgefragte Tech-Qualifikation – und das mit weitem Abstand. Die Automatisierung der KI, wie sie Auto-GPT oder Agent GPT in Ansätzen zeigen, wird aber das manuelle Prompten sehr schnell ablösen und geben einen Vorgeschmack, was nun möglich ist.

Die Frage, wie stark ChatGPT und andere Sprachmodelle künftig Jobs ersetzen oder verändern, beschäftigt gerade die halbe Welt – und nicht ganz zu Unrecht, denn die Hälfte der Jobs wird in Gefahr sein, sagt Arbeitsmarktforscher Carl Benedikt Frey im FAZ-Interview. Betroffen sind überwiegend die White-Collar-Jobs, also die Menschen in den Büros, die mit Hilfe der KI produktiver werden, weil viele zeitraubende Tätigkeiten wie Texte zusammenfassen, Protokolle schreiben oder Software programmieren künftig zumindest teilweise von der Maschine erledigt werden.

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Die meisten „betroffenen“ Berufe werden allerdings nicht komplett ersetzt, verändern sich aber. Wer die KI für sich nutzt, wird in der Regel produktiver – 35 Prozent Zuwachs hat eine MIT-Studie ergeben. „Die Arbeit von Anwälten werden wir nicht vollständig automatisieren. Aber für die Überprüfung von Dokumenten werden sie in Zukunft kein Geld mehr verlangen können, weil die KI das übernimmt“, erwartet Frey. Ähnlich argumentiert eine aktuelle Goldman-Sachs-Studie, die 44 Prozent der Tätigkeiten in Jura-Jobs als automatisierbar erachtet. Ein ähnlich hohes Exposure weisen nur die Assistenztätigkeiten in Büros auf, weil ChatGPT, per Plug-In in Verbindung mit anderen Services, künftig sehr gut Reisen buchen oder Termine koordinieren kann.

Signifikanter Produktivitätsschub der Volkswirtschaften

Aus volkswirtschaftlicher Perspektive könnten die Sprachmodelle zu einem signifikanten Produktivitätsschub führen. „Wir schätzen, dass generative KI das jährliche Wachstum der Arbeitsproduktivität in den USA über 10 Jahre hinweg um knapp 1½ Prozentpunkte erhöhen könnte, wenn sie breit eingesetzt wird“, erwartet Goldman Sachs. Und das führt – wie in der Vergangenheit immer zu beobachten war – an anderer Stelle wieder zu mehr Beschäftigung, so dass technischer Fortschritt eigentlich nie zu höherer Arbeitslosigkeit geführt hat.

Trotzdem erwartet Frey wachsenden Widerstand gegen die Technik: „Es wird noch viel mehr Widerstand gegen die Automatisierung geben, und er wird mehr Erfolg haben. Denn jetzt geht es um die Arbeit von Anwälten, Ärzten oder Journalisten, die mehr politischen Einfluss haben als die Arbeiter, die von früheren Automatisierungsphasen betroffen waren. Italiens Entscheidung, ChatGPT zu blockieren, ist vielleicht erst der Anfang“, sagte der Forscher.