Wenn die KI den Google-Traffic versiegen lässt
Wenn KI die Fragen ohne weiteren Klick direkt beantwortet, gehen den Erstellern der Inhalte Besucher und so die Finanzierung verloren – und damit sinkt indirekt der Datennachschub für die KI. Über die Suche nach einer neuen Balance zwischen KI-Plattformen und Inhalteanbietern.

Suchmaschinen verändern sich grundlegend. „Zero Click Search“ – die Suche, bei der Nutzer keine externen Links mehr anklicken – wird im KI-Zeitalter zum Standard. Anstatt wie früher eine Liste von Treffern zu präsentieren, liefern Google & Co. immer häufiger direkte Antworten in generierten Texten, sogenannte AI Overviews oder KI-Übersichten. Darunter werden zwar meist die klassischen Links eingeblendet, aber dort schaut kaum noch jemand hin.
Seit Google im Mai 2024 in den USA – und Ende März 2025 auch in Deutschland – generative KI-Antworten in die Suche integriert hat, beobachten Inhalteanbieter wie Nachrichtenseiten, Blogs und Foren besorgt einen deutlichen Rückgang ihrer Besucherzahlen. Wenn die Antwort schon auf der Suchseite steht, bleibt der Klick auf die ursprüngliche Quelle oft aus.
Diese Entwicklung ist brisant: Über Jahre lebte das Web von einer Symbiose – Publisher stellen Inhalte bereit, Suchmaschinen indexieren sie und leiten im Gegenzug Besucher weiter. Jetzt droht dieses Gleichgewicht zu kippen. Branchenbeobachter sprechen gar von einem „Traffic-destroying Nightmare“ für Online-Publisher.
Deutlicher Traffic-Verlust durch KI-Antworten
Eine neue Studie des SEO-Experten Kevin Indig und des UX-Forschers Eric Van Buskirk untersucht erstmals systematisch die Nutzung von Googles AI Overviews (AIO). In einem aufwendigen Setting wurden 70 Nutzer bei acht realitätsnahen Suchaufgaben beobachtet. Dabei entstanden rund 400 AIO-Interaktionen, die Einblicke geben, wie stark sich das Verhalten bei der Websuche unter dem Einfluss von KI verändert.
Danach senken AI Overviews die Klickrate auf externe Links deutlich. Auf dem Desktop sinkt die Click-Through-Rate (CTR) um bis zu zwei Drittel, auf mobilen Geräten fast um die Hälfte. Nutzer verlassen sich zunehmend auf die Informationen im KI-Überblick – insbesondere bei einfachen oder standardisierten Anfragen.
Etwa 70 Prozent der Suchenden lesen nur das obere Drittel der KI-Box. Nur eine Minderheit scrollt weiter. Daher ist es für Unternehmen entscheidend, mit Markennennungen und Zitaten möglichst weit oben zu erscheinen. Autorität und Bekanntheit entscheiden dabei stärker über das Vertrauen in eine Quelle als die inhaltliche Relevanz allein.
Junge Menschen vertrauen der KI meist
Nutzer folgen einem zweistufigen Entscheidungsfilter: Zuerst prüfen sie, ob sie der Quelle vertrauen – erst dann spielt die inhaltliche Passung eine Rolle. Bekanntheit, staatliche oder universitäre Domains und Experteneinschätzungen steigern die Klickwahrscheinlichkeit erheblich.
Jüngere Nutzer (25 bis 34 Jahre) interagieren am häufigsten mit AIOs und verlassen sich tendenziell stärker auf deren Inhalte. Ältere Nutzer bevorzugen klassische Links und vertrauen auf bekannte Websites. Mobilnutzer scrollen häufiger und tiefer als Desktopnutzer, was durch kleinere Bildschirme und andere Nutzungskontexte begünstigt wird.
Community-Inhalte gewinnen an Bedeutung
Viele Nutzer, insbesondere jüngere, suchen nach zusätzlicher Validierung in Foren wie Reddit oder auf Youtube. Soziale Belege (Social Proof) ersetzen zunehmend klassische Autoritätsquellen. Bei komplexeren oder risikobehafteten Suchanfragen (etwa zu Gesundheit oder Finanzen) steigt die Skepsis gegenüber AIOs deutlich – Nutzer suchen dann gezielt nach Alternativquellen.
Die Studie zeigt, dass sich die Logik der Websuche fundamental wandelt: Nicht mehr der Klick, sondern die bloße Sichtbarkeit in der AIO entscheidet über Relevanz und Wahrnehmung. Für Marken bedeutet das einen Paradigmenwechsel – weg von klassischen SEO-Kennzahlen hin zu einer Optimierung auf Präsenz und Vertrauen. Besonders betroffen sind Verlage und Geschäftsmodelle, die auf hohe Besuchszahlen angewiesen sind.
Diese Analyse des Nutzerverhaltens deckt sich mit den Erfahrungen der Seitenbetreiber, die nach der KI-Einführung bei Google weniger Besucher messen. Die meisten Sites sehen zweistellige Einbrüche in ihren Statistiken.
Auch in den USA, wo Googles Search Generative Experience (SGE) schon 2023 als Experiment startete und seit April/Mai 2024 breiter ausgerollt wurde, sind die Auswirkungen dramatisch. Analysten schätzen, dass KI-Antworten zwischen 20 und 60 Prozent des bisherigen Traffics kosten könnten, je nach Thema. Branchenweite Prognosen gehen davon aus, dass allein Googles KI-Suche den Medien bis zu zwei Milliarden Dollar Werbeerlöse pro Jahr entziehen könnte. Eine Modellrechnung von Raptive, einem Werbepartner vieler US-Publisher, veranschlagt etwa 25 Prozent weniger organischen Traffic für dessen Portfolio.
Bestimmte Ressorts sind besonders betroffen: So wird im Food-Segment ein Minus von 20 Prozent erwartet, bei Reise- und Familienthemen knapp 30 Prozent. SEO-Studien untermauern diese Trends: In Tests erschien bei über 90 Prozent aller Suchanfragen bereits ein generiertes Google-Antwortfeld. Bei Informationsanfragen mit längerem Text („Long-Tail“-Queries) blendet Google inzwischen in mehr als 60 Prozent der Fälle eine KI-Antwort ein und drängt damit die klassischen Suchergebnisse weit nach unten.
Besonders Nischenwebsites in Bereichen wie Reisen, Kochen oder Heimwerken verlieren stark an Sichtbarkeit, also genau in den Bereichen, in denen Google verstärkt KI-Funktionen ausrollt und wo Nutzer komplexe Fragen haben, die KI direkt beantwortet. Die Erkenntnis scheint klar: Wo die KI zusammenfasst, klicken Nutzer nicht mehr. Inhalte dieser Anbieter tauchen zwar weiterhin in den AI Overviews auf, aber der Klick auf die Quelle bleibt aus – und damit auch meist die Monetarisierung.
Beobachter weisen darauf hin, dass Zero-Click-Suchen schon vor der KI-Ära auf dem Vormarsch waren. Google zeigt seit Jahren Infoboxen, Direktantworten für das Wetter und eigene Services wie Landkarten und Flugsuchen prominent an. Laut einer aktuellen Analyse von Rand Fishkin (Spark Toro) enden inzwischen knapp 60 Prozent aller Google-Suchanfragen ohne externen Klick. Der Suchende bekommt also eine Antwort, navigiert aber nicht weiter. Diese Entwicklung hat sich mit den generativen KI-Antworten nochmals verschärft. Zwar behauptet Google, Nutzer würden dadurch insgesamt sogar mehr suchen und komplexere Anfragen stellen. Doch für die meisten klassischen Content-Anbieter zählen vor allem die wegbleibenden Klicks – und die lassen sich an harten Zahlen ablesen.
Verlage und Websites unter Druck
Der Aufschrei der Publisher ließ nicht lange auf sich warten. In den USA titelte das Wall Street Journal bereits 2023 alarmierend über Googles KI-Pläne als ebendas „Traffic-destroying Nightmare“. Entsprechend panisch fielen erste Reaktionen aus, als klar wurde, dass Google sein Kernprodukt mit KI umbaut. Einige amerikanische Medienunternehmen griffen sofort zu juristischen Mitteln:
- Chegg, ein großer amerikanischer Bildungsdienst (Hausaufgabenhilfe), reichte im Februar 2025 Klage gegen Google ein. Das Unternehmen argumentiert, Googles KI-Überblicke würden die eigenen Inhalte „kooptieren“ – also praktisch verwenden, um Nutzer bei Google zu halten – und so Traffic und Abonnenten wegnehmen. Cheggs CEO Nathan Schultz bezeichnet Googles Vorgehen als existenzielle Bedrohung: Der Besucherstrom und die Kundenzahlen seien so stark gefallen, dass man sogar einen Verkauf des Unternehmens erwäge. Chegg wirft Google wettbewerbswidriges Verhalten vor, da der Suchmonopolist seine Marktmacht nutze, um Verlagen Inhalte abzuluchsen (Stichwort Antitrust-Klage). Google weist die Vorwürfe zurück und entgegnet, die Leute fänden die Suche mit KI hilfreicher und „nutzen Search mehr“, was neuem Content wiederum mehr Chancen auf Entdeckung biete. Konkrete Zahlen zu Klickraten rückt Google allerdings nicht heraus.
- Bereits 2023 hatten sich in den USA auch Zeitungsverlage zu einer Sammelklage zusammengeschlossen. Eine kleine Lokalzeitung aus Arkansas führt eine Class Action an, die Google vorwirft, durch KI-generierte Snippets die Nachrichtenanbieter wettbewerbswidrig zu benachteiligen. Dieser Fall läuft parallel zu großen Kartellverfahren gegen Google und könnte zum Präzedenzfall für die gesamte News-Branche werden.
- Auch in Europa schaut man genau hin: Die EU-Kommission hat Googles KI-Übersicht im Visier und prüft, wie die generierten Suchantworten mit dem EU-Urheberrecht zusammenspielen. Dass die KI-Suche Urheberrechte tangiert, liegt auf der Hand. Ungeklärt ist, ob die kurze Zusammenfassung geschützter Inhalte zulässig ist. Google stützt sich hier auf eine Text-und-Datenmining-Ausnahme im EU-Recht, die das automatische Verarbeiten von Inhalten für Forschungs-KI erlaubt. Fachleute bezweifeln allerdings, dass diese Ausnahme für kommerzielle Suchmaschinen-KIs gilt.
Neben juristischen Schritten suchen viele Verlage auch den Dialog mit den Techkonzernen. Bislang mit mäßigem Erfolg. Im Oktober 2024 lud Google rund 20 Betreiber von Websites ins kalifornische Mountain View ein, um über die KI-Suche zu sprechen. Das Ergebnis frustrierte die Teilnehmer: Google entschuldigte sich zwar höflich für den Traffic-Verlust und lobte die Qualität ihrer Inhalte, stellte aber klar, dass die Suche sich grundlegend gewandelt habe – man könne keine Hoffnung auf Besserung machen. „Die Suche ist jetzt einfach anders“, so die ernüchternde Botschaft.
Die Strategien der Verlage
Angesichts dessen beginnen Verlage weltweit, eigene Strategien zu entwickeln, um ihre Inhalte in der KI-Ära zu schützen oder wenigstens besser zu verwerten. Große Medienhäuser versuchen, proaktiv Vereinbarungen mit den Anbietern zu treffen, um nicht leer auszugehen. Bereits im Sommer 2023 schloss die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) einen Lizenzdeal mit Open AI, dem Betreiber von ChatGPT. Dabei stellt AP dem KI-Unternehmen Zugang zu bestimmten Inhalten (zum Beispiel seinem News-Archiv) zur Verfügung und erhält im Gegenzug eine Vergütung und technisches Know-how im Bereich KI.
Im Dezember 2023 ging Axel Springer (Bild, Welt, Politico) eine globale Partnerschaft mit Open AI ein. Als erstes großes Verlagshaus will Springer so „unabhängigen Journalismus im Zeitalter der KI“ stärken – konkret bedeutet das, Open AI darf ausgewählte Nachrichteninhalte der Gruppe in ChatGPT einbinden und zusammenfassen, während Springer im Gegenzug am Nutzen partizipiert. Im Februar 2025 folgte die britische Guardian Media Group: Sie schloss mit Open AI einen Lizenzvertrag, der sicherstellt, dass Guardian-Artikel in ChatGPT nur gegen Bezahlung und mit korrekter Quellenangabe auftauchen. Gleichzeitig erhält der Guardian Zugriff auf Open-KI-Technologie für redaktionsinterne Zwecke.
Diese Deals zeigen einen möglichen Weg: Verlage lizenzieren Inhalte an KI-Plattformen, um entweder direkt Geld oder zumindest Reichweite/Branding in diesen neuen Kanälen zu bekommen. Allerdings können sich nur große Häuser solche Verhandlungen leisten. „Kleine, lokale News-Publisher haben weder die Mittel noch die Verhandlungsmacht, um mit Open AI & Co. gute Konditionen auszuhandeln“, warnt „The Media Leader“. In der Tat konzentrieren sich die bisherigen Partnerschaften auf große Marken.
Manche Inhalteanbieter erwägen, Crawling und KI-Zugriff auf ihre Seiten einzuschränken. Theoretisch könnten Publisher per robots.txt-Datei bestimmten Bots den Zugriff verwehren. Allerdings hat Google unmissverständlich klargemacht, dass es kein Opt-out speziell für die KI-Übersicht gibt. Wer Google insgesamt blockiert, verschwindet vollständig aus der Suche, was ein untragbares Risiko für die meisten Verlage darstellt. Faktisch sitzt Google hier am längeren Hebel: Publisher „müssen“ erlauben, dass Google ihre Inhalte indexiert und jetzt auch per KI anzeigt, sonst sind sie ganz raus. Diese Abhängigkeit sorgt für viel Unmut. Entsprechend versuchen einige Verlage, politisch Druck aufzubauen, damit Gesetze ihnen Schutz oder Vergütungsansprüche einräumen. Andere hoffen, Google selbst werde die Balance wahren und etwa wieder mehr Traffic herausleiten – doch bislang deutet wenig darauf hin. Im Gegenteil experimentiert Google weiter mit dem Verschmelzen von KI- und normaler Suche, was eine getrennte Steuerung noch schwieriger macht.
Exklusive und tiefgehende Inhalte als Anreize
Einige Publisher reagieren, indem sie ihr inhaltliches Angebot umbauen. Wenn einfache Fakten und Standardratgeber von der KI weggeschnappt werden, setzen sie verstärkt auf exklusive, tiefgründige Inhalte, die Nutzer eher direkt ansteuern. Außerdem investieren Medienhäuser vermehrt in Direktkanäle zum Publikum: Newsletter, Podcasts, eigene Apps oder Community-Bindung sollen die Abhängigkeit vom Google-Traffic verringern. Einige testen sogar eigene Chatbots auf Basis ihrer Inhalte, um Nutzern KI-gestützte Services auf ihren Plattformen statt bei Google zu bieten.
Auch Kollaborationen unter Medien sind im Gespräch. In Frankreich und Australien hatten Verlage in den vergangenen Jahren bei den Verhandlungen um das News-Leistungsschutzrecht gemeinsam Druck gemacht und Teilerfolge erzielt. Ein ähnliches Zusammenrücken ist nun beim Thema KI-Suche zu beobachten: Branchenverbände und Allianzen fordern Regeln, damit Content-Schöpfer fair am KI-Wertschöpfungsprozess beteiligt werden. So haben im Frühjahr 2025 britische Kreativ- und Medienindustrien die Regierung aufgefordert, KI-Konzerne zu verpflichten, Inhalte nicht ohne Zustimmung und Vergütung der Urheber zu nutzen („Make it fair“). Selbst einige Werbekunden und Agenturen stellen sich hinter die Publisher: In einem offenen Brief hieß es, man wolle nicht tatenlos zusehen, wie KI-Suchen die professionelle Inhaltsproduktion kannibalisieren – schließlich sei hochwertiger Content auch für Werbeumfelder und Markenbildung essenziell.
Die Rolle von Google als Gatekeeper des Wissens
Eine Schlüsselfigur in diesem Wandel ist Google selbst. Der Suchgigant spielt eine doppelte Rolle: Einerseits ist Google Treiber der KI-Suche und setzt mit seinen AI Overviews den De-facto-Standard. Andererseits ist Google der zentrale Gatekeeper zum Web-Content. Auch nahezu alle KI-Suchsysteme greifen letztlich auf Inhalte zu, die Google (oder seltener Bing) indexiert hat. Viele der neuen KI-Chatbots und Suchassistenten basieren indirekt auf Googles Index: ChatGPT nutzt Bing als Suchhelfer, Bing selbst speist sich aus einem Index ähnlichen Umfangs, und kleinere Dienste wie Perplexity crawlen das Web, das Google durchforstet. Kurz: Googles Datenbanken bilden das Fundament, auf dem die meisten generativen Antworten fußen. Diese Stellung verleiht Google enorme Macht über das Informationsökosystem.
Die Zero-Click-Suche, angetrieben durch generative KI, stellt das Gefüge zwischen Plattformen und den Erstellern von Inhalten somit vor eine historische Bewährungsprobe. Google als mächtigster Player hat faktisch entschieden, dass die Suche der Zukunft Antworten statt Links liefern soll. Für Nutzer mag das bequem sein, aber für die Inhaltsanbieter ist es ein Paradigmenwechsel mit hohen Verlusten. Die Branche sucht fieberhaft nach Lösungen, von gerichtlichen Schritten über Allianzen und Deals bis zu politischen Forderungen nach neuen Spielregeln.
Noch ist unklar, welches Modell sich durchsetzt. Klar ist jedoch, dass die Frage „Wem gehört der Traffic – und wem der Wert der Information?“ neu verhandelt wird. Wenn die großen KI-Plattformen wie Google die Erträge der Wissensvermittlung nicht fair teilen, droht am Ende ein Netz, in dem zwar Fragen beantwortet werden, aber immer weniger unabhängige Quellen übrig sind, um sie mit Qualität zu beantworten.