Facebook: Marketing-Dollar statt Social-Media-Pennys

Paid Media statt Earned Media: Facebook ist jetzt eine Performance-Marketing-Maschine geworden. Am Social-Media-Kleingeld ist das Netzwerk nicht mehr interessiert.

Als Andrew Bosworth im Januar 2006 zu Facebook stieß, war das Netzwerk noch ein kleines Verzeichnis statischer Profilseiten. Um die Neuigkeiten zu sehen, die ihre Freunde gepostet hatten, mussten die Nutzer mühsam von Seite zu Seite springen. Dann erfand „Boz“, wie sie ihn bei Facebook nennen, den „Newsfeed“. Dieser stetige Strom neuer Nachrichten ist bis heute der Kern des Netzwerkes und ein wichtiger Grund, warum 19 Millionen Deutsche täglich bei Facebook vorbeischauen (auch wenn im Moment die Gefahr steigt, dass der Newsfeed einfach zu viele Informationen transportieren soll).

Boz

Heute sitzt Boz, der seinem Chef Mark Zuckerberg an der Harvard University einst im Fach „Künstliche Intelligenz“ unterrichtete, wieder auf einer Schlüsselposition: Er entwickelt die Werbeprodukte, die das Geld in die Kasse spülen sollen. Spätestens am 18. Mai 2012, als Facebooks Börsengang zum Desaster geriet, war klar: Bosworth musste liefern. Neue Werbeformen, um die enorme Popularität in Umsatz umzumünzen, ohne dabei die Nutzer zu vergraulen.

Werbeinstrumente spürbar verbessert

Eineinhalb Jahre später zeigt ein Blick auf die Umsatzentwicklung von Facebook: „Boz“ hat geliefert. „Die Werbeinstrumente von Facebook sind seit dem vergangenen Jahr spürbar besser geworden“, sagt Florian Heinemann, der im Auftrag der Otto-Group (“Project A”) neue Internetfirmen aufbaut. Früher klickten nur etwa 0,04 Prozent der Besucher auf die eingeblendete Werbung in der rechten Spalte. „Heute erzielen die Anzeigen im Newsfeed Werte über 1 Prozent, manchmal sogar 10 Prozent“, erklärt Heinemann den Fortschritt.

Der Trend geht klar in Richtung Performance Marketing, um den Werbern schnelle und eindeutige Ergebnisse zu liefern. Das war nötig, da Social Media in den Unternehmen immer noch keine große Rolle spielt und entsprechend geringe Budgets hat. Das Geld steckt weiterhin im Marketing – und genau dorthin will Facebook.

„Wir haben uns im vergangenen Jahr darauf konzentriert, die Conversions-Raten zu erhöhen. Nun können Werber direkt Performance-Marketing bei uns betreiben“, erklärt Bosworth. Eine Studie von Nanigans, einer Agentur für Performance Marketing, bestätigt den Wandel: Die Verlagerung der Werbung in den Newsfeed habe die Click-Through-Rates (CTR) seit dem vergangenen Herbst um 375 Prozent erhöht. „Vor zwölf Monaten hatten wir noch gar keine Gespräche über den ROI im Social Marketing. Und heute reden wir bei Facebook über Performance Marketing“, sagte Nanigans-Manager Dan Slagan zu Venturebeat.

[Facebook]

Marketing-Budgets statt Social-Media-Kleingeld

Die Absicht dahinter ist klar: Facebook will mit seinen neuen Werbetools nicht an das Kleingeld der Social-Media-Abteilungen, sondern an die großen Budgets fürs Marketing. Die ersten Schritte dorthin sind gemacht. “Heute geben die Online-Händler meist weniger als 5 Prozent ihres Budgets für Werbung auf Facebook aus. Dieser Anteil wird jetzt schnell zulegen”, erwartet Heinemann. Auch weil der Wandel zum Performance Marketing ein Problem gelöst hat, das Werbung in sozialen Netzwerken lange eingeschränkt hat: die schwierige Messbarkeit. “Der Return on Investment ist plötzlich sichtbar geworden”, sagt Ben Moehlenhoff, Direktor Social Media beim Hamburger Unternehmen eprofessional.

Facebook nutzt sein Wissen über die Vorlieben seiner 1,1 Milliarden Nutzer inzwischen so geschickt aus, dass die Werbeinstrumente den Anzeigenkunden die gewünschten Ergebnisse liefern. Ein gutes Beispiel dafür ist „Custom Audience Targeting“. Damit können Unternehmen ihre Kunden auf Facebook wiederfinden, indem sie ihre Kundendatei mit den E-Mail-Adressen der Facebook-Nutzer abgleichen. „Die Werbetreibenden können ihren Kunden oder Kontakten sehr spezifische Werbung zeigen. Einen Nachlass auf ein Produkt will man zum Beispiel nur loyalen Kunden geben oder Multiplikatoren, die anschließend über das Produkt sprechen und damit zusätzliche Verkäufe generieren“, erläutert Bosworth das Prinzip im Gespräch mit FOCUS. 85 Prozent der Kunden könnten Unternehmen auf Facebook wiedergefunden. Deutsche Anwender erzielen etwas geringere Werte: Von 40 bis 60 Prozent spricht Heinemann; eine Trefferquote bis zu 70 Prozent hat Moehlenhoff schon erzielt.

Datenschutz nicht geklärt

Ob ein Unternehmen seine Kundendaten aber überhaupt auf die Plattform der Amerikaner laden darf, ist nicht klar. „Das Instrument ist grenzwertig in Sachen Datenschutz. Der Kunde muss vorher seine Zustimmung geben, dass seine Daten zu Facebook hochgeladen werden – sonst ist diese Form der Werbung in Deutschland verboten. Sie funktioniert aber extrem gut. In den USA wird das schon fleißig genutzt“, sagt Michael Altendorf vom Mannheimer Marketingsspezialisten Adtelligence. Auch in Deutschland setzen Unternehmen das Instrument ein, hängen das aber lieber nicht an die große Glocke, weil sie Angst vor Datenschutz-Diskussionen haben, sagt Moehlenhoff.

Doch die Qualität der Daten reizt die Unternehmen. „Wer weiß denn sonst, wie alt der Nutzer ist und was er mag? Niemand hat solch gute Daten wie Facebook – selbst Google nicht“, meint Altendorf. Und es wird noch besser: Facebook sucht auf Wunsch der Unternehmen auch nach „statistischen Zwillingen“ ihrer Kunden. „Wir finden Menschen, die dem Kunden sehr ähnlich sind. Wir nennen das „Look Alike Targeting“. Damit lässt sich die Zielgruppe leicht erweitern. Auf die Entwicklung dieser Instrumente legen wir großen Wert“, sagte Bosworth.

„Statistische Zwillinge“ gesucht

Die „Zwillinge“ verfügen über ein ähnliches Profil, interessieren sich für die gleichen Produkte und sind mit einigermaßen hoher Wahrscheinlichkeit für die Produkte des Unternehmens zu begeistern. In diese Richtung zielt auch das „Broad Category Targeting“, also die Zuordnung der Nutzer in inzwischen mehr als 500 Gruppen, aus denen sich die Werber die gewünschte Zielgruppe aussuchen können. Zum Beispiel Menschen, die gerade einen Urlaub buchen wollen, auf der Suche nach einem Auto sind oder junge Eltern. Diese Kategorien lassen sich dann weiter verfeinern, zum Beispiel nach Regionen. Die naheliegende Vermutung, dass Facebook die Kategorien mit externen Daten verfeinert, weist Bosworth aber zurück. „Broad Category Targeting basiert im Moment nur auf Informationen, die wir auf Facebook haben“, sagt der Facebook-Manager.

Doch der Datenschutz spielt immer mit. Denn nicht nur Facebook, sondern auch die Web-Firmen wollen an die Daten, wie das Beispiel Amazon zeigt. Der weltgrößte Online-Händler ködert seine Nutzer gerne mit Gewinnspielen, damit sie ihr Kundenkonto mit ihrem Facebook-Profil verknüpfen. In Großbritannien reicht schon eine Reise nach New York, während die Kunden in Deutschland mit der Aussicht auf 10000 Euro angelockt werden. Wer dann auf den Button “Teilnehmen“ klickt, gibt Amazon Zugriff auf so ziemlich alle seine Facebook-Daten. Das klingt dann so: „Amazon erhält Zugriff auf folgende Informationen: dein öffentliches Profil, Freundesliste, E-Mail-Adresse, Geburtstag, persönliche Beschreibung, „Gefällt mir“-Angaben und die Geburtstage und „Gefällt mir“-Angaben deiner Freunde. Amazon möchte in deinem Namen Inhalte posten. Amazon möchte: jederzeit Zugriff auf deine Daten.“

Jedem Nutzer seine Landing-Page

Das Wissen über die Interessen nutzen die Online-Shops inzwischen ganz gezielt. „Wenn ein Kunde von Facebook kommt, haben wir Informationen über ihn, nach denen wir das Produktangebot ausrichten. Wer männlich und jung ist und in einer Bank arbeitet, bekommt nur die Schuhe angezeigt, die ihm gefallen können. Jeder Kunde landet auf einer Seite im Online-Shop, die speziell auf ihn zugeschnitten ist. Damit lassen sich die Kaufquoten deutlich nach oben treiben“, sagt Altendorf.

Die Werbeleistung lässt sich noch besser messen, wenn ein Online-Händler ein sogenanntes Conversion-Pixel von Facebook setzt. Damit kann er nicht nur messen, wie viele Nutzer auf seine Facebook-Anzeige geklickt und von dort in seinen Online-Shop gelangt sind, sondern auch was und wie viel er dort gekauft hat. „Auf diese Weise kann ein Händler herausfinden, welche Facebook-Nutzer besonders gut auf seine Werbung reagieren – und dann nur noch diesen Nutzern die Werbung zeigen. Aber auch bei diesen Instrument sind die Unternehmen vorsichtig, weil sie sich nicht sicher sind, ob der Datenschutz gewährleistet ist”, sagt Moehlenhoff.

Am App-Boom teilhaben

Der absolute Renner bei Facebook ist zur Zeit das Format „Mobile App Install Ads“, mit dem Unternehmen ihre mobilen Apps bewerben. „Es verkauft sich blendend. Mobile App Install Ads sind ein großer Treiber für unser mobiles Werbegeschäft“, freut sich Bosworth. Allerdings reicht die einmalige Installation nicht, um ein langfristiges Geschäft aufzubauen. Daher denkt Facebook darüber nach, direkte Verbindungen zu den Apps zu schaffen, um an erfolgreich vermittelten Kunden dauerhaft mitverdienen zu können.

Das Geschäft verspricht Großes. „In vielen Ländern werden Smartphones bald die einzige Möglichkeit sein, die Menschen mit Werbebotschaften zu erreichen. Andere Geräte, die wir heute einsetzen, werden dort übersprungen oder ganz verdrängt. Ein Unternehmen, das keine Strategie für mobile Geräte hat, wird es schwer haben, seine Kunden noch zu erreichen“, sagt Bosworth voraus. Facebook hätte gerne mehr Zugriff auf die Smartphones, wie es mit Facebook Home versucht wurde, aber nicht funktioniert hat. Hier haben Google und Apple die Nase noch vorn. Auch auf die rasant wachsenden Messenger-Dienste wie WhatsApp, WeChat oder Line hat Facebook noch nicht die richtige Antwort gefunden.

Facebook hat andere Vorteile: “Facebook ist in einer guten Position auf dem Werbemarkt, weil das Unternehmen die dauerhaften Interessen seiner Nutzer kennt. Bei Google geben die Nutzer eher ihre augenblicklichen Interessen ein”, erläutert Heinemann einen zentralen Unterschied zwischen den beiden Werbegiganten, denen in Deutschland zusammen etwa 70 Prozent des Online-Werbemarktes zufließen. Eine ganze Weile fließt der Großteil davon aber in die Taschen von Google.