Mobileye-Gründer Shashua: „Die Zahl der benötigten Autos wird dramatisch fallen“

„In der Autowelt bleibt nichts beim Alten“, sagt Ammon Shashua, Gründer von Mobileye. Sein Unternehmen baut die Chips, um die Daten der selbstfahrenden Autos zu verarbeiten. Die Monsteraufgabe einer hochauflösenden Echtzeit-Karte für den Straßenverkehr können nur alle Hersteller zusammen meistern.

Mobileye besitzt eine Schlüsselposition für das autonome Auto: Mehr als drei Viertel der Fahrassistenz-Chips, mit denen die Daten verarbeitet werden, stammen von dem israelischen Unternehmen. Im Interview erklärt der Gründer Amnon Shashua, worauf es bei den autonomen Autos der Zukunft ankommt und wie sich der Wettbewerb in der Autoindustrie entwickelt.

UPDATE: Intel übernimmt Mobileye für 15,3 Mrd. Dollar – was vor allem eine Reaktion auf den Erfolg des Konkurrenten Nvidia ist.


Im Moment entstehen viele neue Koalitionen in der Autoindustrie. Unternehmen arbeiten nun zusammen, die früher Feinde waren. Kann das auf Dauer funktionieren?

Shashua: Die Flugzeug-Industrie liefert die Blaupause: Flugzeuge sehen praktisch alle gleich aus, egal von welchem Hersteller sie sind. Der Grund liegt in den strengen Vorschriften. In der Autoindustrie wird das Gleiche passieren: Strenge Standards für die autonomen Fahrzeuge führen zu ähnlich strukturierten Fahrzeugen, auch wenn sie von außen noch unterschiedlich aussehen. Die Regulatoren werden genau vorschreiben, wie die Navigationssysteme funktionieren müssen und welche Karten genutzt werden – sonst wird es chaotisch auf den Straßen. Wettbewerb an dieser Stelle ergibt keinen Sinn. Es lohnt sich also zu kooperieren, um gemeinsam an den Standards zu arbeiten. Wer daran nicht mitarbeitet, kann die Standards nicht beeinflussen – und muss sich nach den Regeln der anderen richten. Der Wettbewerb wird dann über andere Aspekte ausgetragen: Design, Fahrgefühl, bereitgestellte Inhalte oder Einbindung in das digitale Ökosystem.

Worin genau liegen die Vorteile der Kooperation? Die Möglichkeiten, sich von der Konkurrenz zu unterscheiden, erscheinen nicht sehr groß.

Shashua: Erstens: Die Kooperation hilft, die Kosten zu teilen, denn die sind enorm hoch. Zweitens: Kein Hersteller allein wird ein echtes selbstfahrendes Auto zustande bringen. Das zu ist schwierig, vergleichbar mit einem Flug zum Mond. Den hat auch kein einzelnes Unternehmen zustande gebracht, sondern eine Nation. Drittens: Jeder Teilnehmer erhöht die Wahrscheinlichkeit, Teil des Standards zu werden.

Deutsche Autohersteller sind sehr stolze Unternehmen. Werden sie langfristig akzeptieren, dass ein kritisches Teil ihrer Autos von einem Startup aus Israel produziert wird? Continental arbeitet bereits an einem ähnlichen Produkt.

Shashua: Mobileye ist 17 Jahre alt und wir sind der dominante Hersteller des Fahrassistenz-Chips im Auto. Wir arbeiten mit 27 Herstellern zusammen. Für die Mehrheit dieser Unternehmen sind wir der einzige Lieferant für diese Technologie. Bei den verbleibenden Herstellern besitzen wir 50 Prozent Anteil. Unser Marktanteil liegt bei 70 bis 90 Prozent. Der Grund für unsere Dominanz und warum es nicht so einfach ist, Mobileye zu ersetzen, ist die eingebaute Sicherheit, die nur wir liefern.

Wann erwarten Sie die vollautonom fahrenden Autos auf den Straßen?

Shashua: Im Jahr 2021. Die Technologie ist noch nicht fertig, sonst wären die Fahrzeuge morgen auf dem Markt. Wir warten nicht mehr auf eine unabwägbare wissenschaftliche, sondern nur noch auf eine technologische Revolution. Und die kann man berechnen. Wir kennen die Algorithmen. Jetzt brauchen wir die Validierung und die Tests.

Welchen Stellenwert haben Car-Sharing-Plattformen in einer Welt autonomer Autos?

Shashua: BMW hat angekündigt, 2021 eine Car-Sharing-Plattform mit autonomen Autos zu starten. Wird der Taxifahrer nicht mehr benötigt, sinken die Kosten der Taxifahrt um etwa 50 Prozent. Heute verlieren Firmen wie Uber noch Geld. Fällt der Kostenblock „Fahrer“ weg, lohnt sich das Modell sofort. Ein weiterer wichtiger Punkt: Mehrere Menschen können sich ein Auto teilen. Man fährt zum Beispiel zur Arbeit und schickt das Auto autonom zurück, so dass der Nächste damit fahren kann. So kommen Familien mit einem Auto aus; vielleicht können Nachbarn sich ein Auto teilen. Die Zahl der Autos wird dramatisch fallen. Die Hersteller haben diese Disruption sehr genau verstanden und wandeln sich daher zu Mobilitätsplattformen. In dieser Welt bleibt nichts beim Alten.

Mobileye kooperiert mit Here, um eine hochauflösende Realtime-Landkarte für den autonomen Straßenverkehr zu bauen. Warum Here?

Menschen brauchen eine Landkarte für die Navigation, nicht für das Fahren. Aber autonome Autos benötigen viel mehr Daten, die manchmal sogar doppelt oder dreifach vorhanden sein müssen, damit die Sicherheit garantiert ist. Wir sprechen dann von Redundanz. Denn Roboter-Autos müssen viel sicherer fahren als Menschen – sonst werden sie nicht akzeptiert. Der heutige gesellschaftliche Konsens lautet doch vielfach so: Menschen können Menschen töten, aber Computer dürfen das nicht. Wir nehmen 20.000 Unfalltote hin, die von Menschen verursacht werden, aber 10.000 Tote mit autonomen Autos würden nicht toleriert – auch wenn dies die Zahl der Opfer um die Hälfte reduzieren würde. Daher müssen die Autos um ein Vielfaches sicherer fahren. Nur eine Realtime-Landkarte garantiert die benötigte Sicherheit, weil genügend Daten über die Wege und den Verkehr vorliegen. Diese Landkarten müssen viel präziser als heutige Navigationssysteme sein. Wir müssen die Fahrbahnen mit 10 Zentimeter Genauigkeit kennen; wir müssen wissen, ob die Linie zwischen den Fahrbahnen durchgezogen oder gestrichelt ist und wie der Zustand der Straße ist. Diese Informationen existieren in normalen Navigations-Karten nicht.

Reicht GPS dafür nicht aus?

Das Auto muss viel genauer lokalisiert werden, als das per GPS möglich ist. Auch hier liegt die maximale Abweichung bei 10 Zentimetern. GPS funktioniert außerhalb der Städte gut, aber nicht zwischen den Häusern einer Stadt, weil die Signale oft blockiert werden. Für diese Landkarten braucht man eine teure Ausrüstung wie Laserscanner. Die Autos fahren durch die Straßen und erheben diese Daten, die dann manuell zu einer Karte zusammengefügt werden müssen, die alle Informationen enthält. Das ist ein sehr langsamer und sehr teurer Prozess.

Aber ein Problem bleibt: Was passiert, wenn sich auf der Straße etwas ändert? Unsere Autos können nicht überall gleichzeitig sein. Also müssen wir die Erfassung der Daten so skalieren, dass überall Echtzeit-Daten verfügbar sind, die für autonomes Fahren notwendig sind. Das ist genau das Problem, das Mobileye und Here gemeinsam lösen wollen. In allen neuen Autos werden Frontkameras eingebaut, um Kollisionen zu vermeiden. Die Kameras erfassen aber auch die kritischen Informationen wie die Position der Fahrbahnlinien. Hochleistungschips können diese Daten verarbeiten und in die Cloud schicken, wo sie zu einer Echtzeit-Landkarte zusammengesetzt werden. Wenn nun Millionen Autos mit Frontkameras herumfahren, lassen sich alle Änderungen auf den Straßen schnell erfassen und in die Karte übertragen. Die Karte wird dadurch kontinuierlich aktualisiert.

Das kann eigentlich nur funktionieren, wenn alle Hersteller mitmachen. Ist das realistisch?

Wir müssen also Autohersteller überzeugen, uns diese Daten zur Verfügung zu stellen. Und wir müssen sie überzeugen, dass ihre Daten mit den Daten ihrer Konkurrenten vereint werden, damit alle vom Ergebnis profitieren. Ein Hersteller allein hat nie genügend Autos auf der Straße, um die notwendigen Daten allein zu generieren. Diese Form der Kooperation ist den Autoherstellern eigentlich fremd, da sie sonst miteinander konkurrieren. Jetzt sollen sie Daten teilen, um etwas Wertvolles zu schaffen, das autonomes Fahren erst ermöglicht. Unser Abkommen mit Here ist das erste Signal: die drei Autohersteller Daimler, BMW und Audi haben sich darauf verständigt, dass nur dieser Weg funktioniert. Here kann diese Daten dann auch mit anderen Herstellern wie Nissan teilen. Andere Hersteller werden dazukommen.

Bedeutet diese Realtime-Karte einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Firmen wie Tesla oder Toyota, die nicht mit Here zusammenarbeiten?

Shashua: Ohne HD-Landkarte wird autonomes Fahren nicht funktionieren. Das haben alle akzeptiert. Wir haben einen Weg gefunden, diese hochauflösende Landkarte quasi kostenlos zu aktualisieren, was sonst sehr teuer wäre. Die Technologie ist außerdem nicht an Here gekoppelt, sondern kann auch von anderen Herstellern und Kartendiensten genutzt werden, die mit Mobileye zusammenarbeiten. Es macht also für die anderen Hersteller sehr viel Sinn, sich bei dieser Initiative oder vergleichbaren mit anderen Kartenherstellern zu beteiligen.

Klingt logisch. Also machen bald alle Hersteller mit?

Shashua: In unseren Diskussionen haben wir nicht einen Hersteller getroffen, der diese Logik nicht einsieht.

Auch Tesla?

Shashua: Wir arbeiten nicht mehr zusammen. Wir haben gerade eine unschöne Scheidung mit Tesla hinter uns und schließlich vereinbart, nicht mehr darüber zu sprechen.

Foto: Wolf Heider-Sawall