Der Wettlauf um den Quantencomputer
Der Supercomputer des 21. Jahrhunderts kann Pharmaforschung, Materialdesign, Medizin und Verkehrssteuerung revolutionieren. Daher liefern sich Amerikaner, Chinesen und Europäer einen heißen Wettstreit um den Quantencomputer.
„Eigentlich wollte ich Sie bitten, Quantencomputer für uns zu erklären…“ beginnt ein Reporter seine Frage an den kanadischen Premierminister Justin Trudeau auf einer Pressekonferenz im Institut für theoretische Physik in Waterloo, Ontario. Was als lustige Überleitung zur eigentlichen Frage nach Kanadas Vorgehen gegen den IS gedacht ist, nutzt Trudeau als Nachhilfestunde. „Es ist ganz einfach. Normale Computer funktionieren so, dass entweder Strom fließt – oder nicht. Das ergibt eine 1 oder eine 0; es sind binäre Systeme. Quantenzustände erlauben es dagegen, weitaus komplexere Informationen in einem einzelnen Bit und damit in einem viel kleineren Computer unterzubringen. Und genau das ist so aufregend an Quantencomputern“, sagt Trudeau – unter tosendem Applaus.
Was Kanadas cooler Premier in wenigen Worten erklärt, wird mit einiger Sicherheit die nächste Revolution der Computergeschichte: „Einen Quantencomputer zu bauen ist der heilige Gral der Wissenschaft“, sagt Winfried Hensinger, Chef der Ion Quantum Technology Group der Universität Sussex. Er gehört zu einem Forscherteam, das in der Fachzeitschrift Science Advances eine Art Bauplan für einen Quantencomputer veröffentlicht hat. „Das wird die Welt verändern. Wir werden Dinge tun können, die wir uns bislang nicht zu träumen gewagt hätten“, hofft Hensinger.
100 Millionen Mal schneller als herkömmliche Rechner soll der Supercomputer eines Tages sein. Theoretisch. Denn so ganz genau weiß das noch niemand, auch nach Jahrzehnten der Forschung nicht. Doch der Durchbruch rückt näher. „Vor 20 Jahren haben sich nur eine Handvoll Forscher mit dem Thema beschäftigt. Heute wird viel mehr Geld investiert, so dass die Fortschritte auch größer sind. Wir stellen uns nicht mehr die Frage, ob Quantencomputer möglich sind, sondern wann und wer das Ziel als Erster erreicht“, sagt Michele Mosca vom Institut für Quantum Computing der Universität Waterloo.
Wettlauf zwischen USA, China und Europa
Der Anreiz, als Erster den Supercomputer des 21. Jahrhunderts zu besitzen, ist riesig. „Weltweit findet derzeit ein technologischer Wettlauf zwischen Europa, den USA und China um die Entwicklung des ersten Quantencomputers statt. Wichtig ist nun eine Zusammenarbeit in Europa, damit nicht US-Konzerne wie Microsoft, Intel, IBM oder Google die Nase vorn haben“, warnte der niederländische Wirtschaftsminister Henk Kamp schon im vergangenen Jahr. Damit sich Europa nicht auch noch in dieser Tech-Disziplin geschlagen geben muss, stellt die EU im dritten „Flagship-Programm“ eine Milliarde Euro für Forschungsprojekte zur Verfügung.
Allerdings scheint die Konkurrenz schon weiter zu sein: China hat schon einen „Quanten-Satellit“ ins All geschossen, der abhörsichere Kommunikation ermöglichen soll. Von Google wird erwartet, vielleicht noch in diesem Jahr eine erste Version eines Quantencomputers mit 50 QuBits fertig zu haben. „Google ist definitiv führend in der Welt; daran gibt es keinen Zweifel“, sagt Simon Devitt vom Riken Center für Emergent Matter Science in Japan. “Wenn Google es nicht schafft, ist etwas schiefgegangen“.
Google in der Pole-Position
Entscheidend für die Rechenleistung ist die Zahl der Bits, die Quanten-Bits oder kurz QuBits genannt werden. Diese QuBits zu erzeugen, funktioniert nach drei Jahrzehnten der Forschung inzwischen ganz gut. „Vor fünf Jahren ging es noch um die Frage, wie gut die QuBits eigentlich sind. Das Problem wurde inzwischen weitgehend gelöst. Heute geht es um die Frage, wie die QuBits hochskaliert werden“, sagt Hendrik Bluhm, der Quantencomputer an der RWTH Aachen erforscht. In den heutigen Vorstufen des Quantencomputers arbeitet meist nur eine Handvoll QuBits. Ab etwa 50 QuBits sind diese Computer den aktuellen herkömmlichen Supercomputern überlegen. Richtig spannend wird es aber erst, wenn eines Tages Tausend, eine Million oder noch mehr QuBits zusammenarbeiten.
In der Größenordnung von 50 QuBits könnte der Google-Rechner liegen, erwarten Experten. Der Konzern hat große Pläne mit dem Quantencomputer, könnte er doch damit seine Leistungsfähigkeit in der künstlichen Intelligenz deutlich vor der Konkurrenz ausbauen. „Das ist die Blaupause für ihre Pläne in den kommenden Jahren“, verrät Scott Aaronson von der Universität von Texas in Austin, der die Pläne mit dem Google-Team diskutiert hat, das sich ansonsten aber nicht so genau in die Karten schauen lässt. Auch IBM hat kürzlich angekündigt, seinen Kunden in Kürze die Dienste seines Computers „IBM Q“ zur Verfügung zu stellen. Dabei soll es sich schon um einen „universellen“ Quantencomputer mit bis zu 50 QuBits handeln, der breit einsetzbar ist.
Verkehrsströme berechnen, um Staus zu vermeiden
Noch steckt alles im Versuchsstadium. Noch wissen die Forscher gar nicht so genau, was ein Quantencomputer alles kann. „Wir haben bisher nur einige grobe Ideen für die Art der Probleme, die Quantencomputer lösen können. Alles, was wir heute vorhersagen, wird in 20 oder 30 Jahren vielleicht als naiv bezeichnet“, warnt Quantenforscher Mosca. Schließlich sind die Irrtümer der Computergeschichte legendär. „Ich denke, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt“, sagte Thomas Watson, der Chef von IBM, im Jahr 1943 voraus. Damals waren Computer noch Rechenungetüme, die ganze Räume füllten und mit Tausenden von Röhren eine unerträgliche Hitze entwickelten. Doch nirgendwo ist der technische Fortschritt schneller als in der Computerindustrie. 40 Jahre später sollte es ausgerechnet sein Unternehmen sein, das den Weltmarkt mit Personalcomputern überschwemmte, die heute in der einen oder anderen Form in praktisch jedem Haushalt stehen.
Doch für spezifische Anwendungen wie die Verkehrsführung kann der Quantencomputer auch in diesem sehr frühen Stadium mit wenigen QuBits schon überlegen sein, erklärt Martin Hofmann, IT-Chef von Volkswagen: „Im Forschungsprojekt mit den Taxidaten aus Beijing arbeitet der Quantencomputer unsere Algorithmen mehrere Millionen Mal ab. Ein herkömmlicher Hochleistungsrechner bräuchte dafür 40 Minuten; der Quantencomputer schafft die gleiche Aufgabe in drei Sekunden. Perspektivisch gehen wir davon aus, dass diese Zeit weiter verkürzt werden kann.“ Das Ergebnis ist eine individuelle Routenplanung für den einzelnen Fahrer, die Staus nicht nur umfährt, sondern gar nicht erst entstehen lässt. VW arbeitet für das Projekt mit dem kanadischen Unternehmen D-Wave zusammen. D-Wave gilt als Erfinder des ersten kommerziellen Quantencomputers, der auch von der Nasa oder von Google eingesetzt wird. Allerdings ist unter Experten sehr umstritten, ob D-Wave schon ein echter Quantencomputer ist. Schnell ist er auf jeden Fall schon mal.
Einsatzfelder: Pharma, Materialdesign, Medizin
Bis zum ersten universellen Quantencomputer wird allerdings noch einige Zeit vergehen. Dessen Einsatzgebiete gehen dann aber auch weit über die Berechnung von Verkehrsströmen hinaus. „Ein Anwendungsfall ist die Pharmaindustrie, die damit besser wirkende Medikamente herstellen kann“, erwartet RWTH-Forscher Bluhm. Quantencomputer werden die Zahl der nötigen Experimente und damit auch die Kosten der Forschung drastisch senken. Ein großes Feld wird auch die Entwicklung neuer Materialien sein, zum Beispiel für den verlustfreien Transport von Energie. „Heute ist es viel zu teuer, Billionen von Materialien zu simulieren, um das beste Ergebnis zu erzielen. Quantencomputer lösen das Problem. Dann werden wir den globalen Energieverbrauch drastisch reduzieren“, erwartet Mosca. Ein weiterer Anwendungsfall ist die effiziente Dünger-Produktion. Mit Quantencomputer können die Produzenten bis auf die Ebene der Atome heruntergehen und damit perfekt zugeschnittenen Dünger herstellen.
Anwendungsfälle gibt es auch in der Medizin, in der neue Messmethoden große Fortschritte bringen. Zum Beispiel hat das Wiener Unternehmen CMS mit Hilfe eines Quantencomputers ein Messverfahren entwickelt, um ausgeatmete Luft genauer analysieren zu können. „Jeder Krebs, jede Krankheit, auch jedes Bakterium, das sich im Körper befindet, hat seine spezifischen Stoffwechselprodukte. Und die kann man in der Ausatemluft nachweisen. Damit man die gut nachweisen kann, braucht man sehr, sehr sensitive Messmethoden – da kommen die kristallinen Spiegel ins Spiel, mit denen man selbst nur in Spuren vorhandene Moleküle nachweisen kann“, sagt CMS-Mitgründer Christian Pawlu.
IT-Sicherheit muss zuerst angegangen werden
Ganz risikofrei ist auch diese neue Technik nicht. Denn neben dem Wettlauf um die industriellen Anwendungen gibt es auch einen Wettstreit um die IT-Sicherheit. Mit Quantencomputern lassen sich nämlich auch die heutigen Verschlüsselungsverfahren leicht knacken. Daher sieht Forscher Mosca die Sicherheit an erster Stelle stehen. „Zuerst müssen wir eine Cyber-Security-Infrastruktur bauen, um sicher in einer Welt der Quantencomputer zu sein. Wenn wir es richtig machen, sind unsere IT-Sicherheitssysteme dann um vieles besser als heute“, hofft er.
Ähnlich wie die Reise zum Mond eröffnen die Quantencomputer einen neuen technologischen Wettlauf. „Noch ist nicht klar, welche Technologie sich am Ende durchsetzen wird. Dazu gehört auch etwas Glück. Die Amerikaner wetten auf eine andere Technologie als die Europäer oder Chinesen. Aber es wird kein „Winner-takes-it-all“Spiel werden“, erwartet Mosca.