Retail Media: die Werbegattung der Plattformökonomie

Der E-Commerce verlagert sich immer stärker auf Plattformen – und damit gewinnt die neue Werbegattung Retail Media stetig an Bedeutung. Doch die Werbeplattformen Google und Facebook sehen der Verlagerung nicht tatenlos zu.

Werbung direkt im Online-Shop, wo die Kunden ohnehin im Kaufmodus sind, ist im Moment die schnellstwachsende Werbegattung. „Im vergangenen Jahr betrug der Umsatz mit Retail Media in Deutschland nach meiner Schätzung etwa 800 Millionen Euro. Für dieses Jahr erwarte ich ein Wachstum zwischen 40 und 70 Prozent. Der Markt liegt damit deutlich über einer Milliarde Euro“, erwartet Torsten Ahlers von der Otto Media Group. Das wären mehr als 10 Prozent des gesamten digitalen Werbemarktes. Eine Abschwächung des Wachstums sieht er aktuell nicht.

Retail Media nimmt Google und Facebook Marktanteile ab

Das Geschäft ist vor allem für Plattform-Modelle wie Amazon, Alibaba, Zalando oder Otto interessant, wo Händler unter vielen Konkurrenten mit Hilfe der Werbung herausstechen wollen. Neu ist das Geschäftsmodell allerdings nicht: Alibaba ist mit diesem Modell schon lange unterwegs und erzielt damit in diesem Jahr mehr als 25 Milliarden Dollar Umsatz. Bei Amazon trug Retail Media im vergangenen Jahr zwar „nur“ etwa 10 Milliarden Dollar zum Umsatz bei, was aber dem späteren Einstieg in das Modell geschuldet ist. Die beiden Unternehmen haben sich auf Rang 3 und 4 der digitalen Werbeträger geschoben und nehmen den Spitzenreitern Google und Facebook mit diesem neuen Modell ordentlich Marktanteile ab.

In Deutschland ist Amazon klarer Marktführer. „Den Anteil von Amazon in Deutschland schätze ich auf 80 bis 85 Prozent. Was nicht nur an der Größe liegt, sondern auch an fünf Jahren Technologievorsprung“, sagt Ahlers, dessen Partnerschaft mit Außenwerber Ströer nun bessere Daten für die Customer Journey bringen soll, da die Kunden mit der Werbung auch auf fremden Seiten erreicht werden. Für dieses Targeting sind gute Daten unerlässlich. Makro-Plattformen wie Alibaba können dieses Problem aus eigener Kraft lösen: Dort fließen Daten aus den eigenen Mikroplattformen für Payments (Alipay), Logistik (Cainao) oder Video (Youku) in Echtzeit in das hauseigene Werbesystem Alimama ein. Fehlende Daten werden einfach zugekauft, wie die 2,2 Milliarden Dollar teure Beteiligung am Außenwerber Focus Media zeigt, mit dessen Hilfe Alibaba 500 Millionen Konsumenten in China erreichen will. Dieser Einstieg ist Teil der New Retail Initiative von Alibaba, Online- und Offline-Einkauf miteinander zu verknüpfen.

Vorteil für ungekannte Marken

Für zwei Produktgruppen funktioniert Retail Media im Moment besonders gut: Consumer Electronics und „Weiße Ware“, hat Ahlers beobachtet. Aufgrund der hohen Relevanz erhalten die Werbemittel eine vergleichsweise große Aufmerksamkeit – durchschnittlich 1,5 Sekunden, hat eine Eye-Tracking-Studie von Heyconnect und der FH Wedel ergeben. Die Kaufwahrscheinlichkeit einer unbekannten Marke lag mit knapp 20 Prozent fast genauso hoch wie bei der bekannten Marke. Retail Media scheint sich somit besonders gut für Neueinsteiger zu eignen, die schnell substantielle Verkäufe erzielen wollen.

Neben der Werbung können die Plattformen ihre Händler auch mit Daten über Kundenwünsche versorgen. Das Wissen, warum ein Produkt angeschaut, aber doch nicht gekauft wurde, kann ebenso wertvoll sein wie die Vorhersage, wie viele Produkte in Zukunft wahrscheinlich verkauft werden. Hier kommt Machine Learning zum Einsatz, zum Beispiel im neuen Amazon-Dienst Forecast, in dem Händler ihre Verkaufshistorie für ein Produkt einspeisen können und dann Absatzprognosen erhalten, die zusätzlich eine Vielzahl externer Daten wie Wetter, Ferien oder Angebote der Konkurrenz berücksichtigen.

Produktsuchen beginnen heute im Online-Shop

Retail Media führt inzwischen zu einer Umschichtung der Werbebudgets. Im „Upper Funnel“ also dem oberen Teil des Konversionstrichters, in dem unter vielen Kunden Aufmerksamkeit für ein Produkt erzeugt wird, greift Retail Media die TV-Budgets an. Im „Lower Funnel“, wenn der konkrete Kundenwunsch umgesetzt wird, steht Retail Media in Konkurrenz zu Google. Mehr als die Hälfte der konkreten Produktsuchen beginnen heute schon auf der Seite einer Handelsplattform wie Amazon und nicht mehr bei Google. Die Suchmaschine hat als Antwort ihr Shopping-Angebot überarbeitet und auch Facebook baut auf seinen Marktplätzen die Einkaufsmöglichkeiten aus. Vor allem auf Instagram ist der Weg vom Liken zum Kaufen inzwischen sehr einfach geworden. Vom Influencer-Marketing profitieren auch Mode-Plattformen wie AboutYou und Zalando.

Mit dem E-Commerce-Markt dreht sich nun auch die Werbung in Richtung der Plattformen. Auch andere Plattformen bauen die Werbung inzwischen kräftig aus. Booking und Expedia erzielen inzwischen jeweils mehr als 1 Milliarden Dollar Umsatz mit Online-Werbung. Allerdings ist ihre Werbebilanz immer noch deutlich im Minus: 10 Milliarden Dollar geben die beiden Unternehmen zusammen im Jahr für Google-Werbung aus.

Disclaimer: Am 21. Juni 2019 habe ich auf dem Retail Media Summit der Otto Media Group einen Vortrag über Plattformökonomie gehalten.