Industrie 4.0 kostet Arbeitsplätze – aber der Verzicht auf Digitalisierung vernichtet viel mehr Jobs
Der Einsatz von Industrie-4.0-Techniken vernichtet 490000 Jobs in Deutschland, schafft aber nur 430000 neue Arbeitsplätze. Ein Verzicht auf die Digitalisierung würde aber noch viel mehr Jobs kosten, warnt das IAB.
Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) hat die Auswirkungen der Digitalisierung im verarbeitenden Gewerbe und der Landwirtschaft untersucht. Selbst unter den Annahmen, dass Deutschland als Vorreiter in der Industrie 4.0 Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz vor allem in den USA und China erzielt, fallen in Summe bis 2025 rund 60.000 Arbeitsplätze in den betrachteteten Sektoren weg. Konkret entstehen 430.000 neue Arbeitsplätze, vor allem in den Bereichen IT, Naturwissenschaft, Unternehmensberatung, Lehre und Design. Dem stehen 490.000 verlorene Jobs gegenüber, vor allem in den Maschinen und Anlagen steuernden Berufen, im Metall- und Anlagenbau und allen Reparaturberufen. Allerdings ist ein Nettoeffekt von 60000 Arbeitsplätzen in diesem langen Zeitraum nicht außergewöhnlich. Die Strukturveränderungen der vergangenen Jahrzehnte haben weit größere Verschiebungen mit sich gebracht. Zudem ist die Qualität der neu geschaffenen Beschäftigungsverhältnisse weit höher als der wegfallenden Jobs, so dass die Lohnsumme insgesamt steigen wird. (-> Die Jobs der Zukunft: Hauptsache digital)
Trotzdem darf die Folgerung aus dem möglichen Verlust der 490.000 Jobs nicht lauten, doch lieber auf Industrie 4.0 zu verzichten. Letztlich gibt es keinen anderen Weg, denn sonst werden andere Länder dies tun. „Die Annahmen, die sich positiv auf Deutschland auswirken (Vorreiter, zusätzliche Nachfrage im Ausland, Wettbewerbsvorteile) richten sich dann gegen den hiesigen Wirtschaftsstandort. Produktionsrückgänge und zusätzliche Arbeitslosigkeit sind die Folgen. Jene werden ausgelöst durch den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und Verschiebung der inländischen Nachfrage hin zu importierten Produkten. Die Aufgabe kann also nur sein, den Übergang möglichst nachhaltig zu gestalten“, lautet das Fazit der IAB-Forscher – selbst wenn die in der Modellrechnung angenommenen Investitions- und Produktivitätseffekte und damit der Umschlag zwischen alten und neuen Beschäftigungsverhältnissen weit stärker ausfallen sollten.
45 Prozent aller Tätigkeiten sind automatisierbar
Die Automatisierung wird auch in anderen Sektoren großen Einfluss auf die Beschäftigung haben. Am Flughafen holen sich Passagiere ihre – im Internet gebuchten – Tickets am Automaten, geben ihr Gepäck an einem Schalter ab, an dem kein Mensch mehr sitzt, scannen danach ihren Pass selbständig und fliegen schließlich in Flugzeugen, welche die meiste Zeit vom Autopiloten gesteuert werden. Wenn nur die heute schon verfügbare Technik eingesetzt wird, können 45 Prozent aller Berufstätigkeiten automatisiert werden, hat die Unternehmensberatung McKinsey für die USA errechnet.
Wenn die Spracherkennung und -verarbeitung, die in den vergangenen Jahren rasante Fortschritte gemacht hat, noch etwas besser wird, können weitere 13 Prozent der Tätigkeiten wegfallen, lautet ein Ergebnis der Studie. Was nicht bedeutet, dass die Jobs wegfallen. Weniger als 5 Prozent der betrachteten Arbeitsplätze können mit heutiger Technik komplett automatisiert werden; 60 Prozent der Jobs enthalten etwa ein Drittel an Tätigkeiten, die von Computern oder Robotern erledigt werden können.
Auch Ärzte, Analysten und Anwälte müssen sich umstellen
Ihre Jobs müssen aber nicht nur die Menschen mit geringer Qualifikation und entsprechend niedrigen Einkommen ändern. Vorstandsvorsitzende verschwenden 20 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Routinetätigkeiten. Auch die Tätigkeiten von Finanzmanagern, Anwälten oder Ärzten weisen signifikante Anteile auf, die automatisiert werden können. Zum Beispiel wandelt die Software des US-Unternehmens Narrative Science in Sekundenschnelle Rohdaten in Berichte oder sogar Powerpoint-Präsentationen um, wofür Finanzanalysten Tage brauchen. Die Analyse von Standard-Krankheiten anhand von Messwerten erledigen Computer künftig schneller als Ärzte, die dann mehr Zeit für Spezialfälle haben. Die KI-Software von Arago befreit IT-Administratoren von lästigen Instandhaltungsarbeiten und gibt ihnen die Zeit, neue Produkte zu entwickeln. Auch Anwälte können einen Teil ihrer Arbeit, nämlich ähnliche Fälle zu finden, inzwischen gut von Maschinen erledigen lassen (-> Werden Anwälte durch Legal Tech überflüssig?).
Generell gilt: Routine wird mehr und mehr von Maschinen erledigt, Spezialfälle und Neuentwicklungen von Menschen. Der Effekt hebt die Arbeitsproduktivität, da die hochqualifizierten Kräfte sich (endlich) um die echten Probleme kümmern können, statt in Routine gefangen zu sein. Daneben gibt es aber auch eine Reihe von Jobs für Niedrigqualifizierte, die bisher nicht automatisierbar sind.